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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Zorns steigt in einem auf, aber dann ebbt sie ab, so rasch wie sie gekommen ist. Denn sehen wir, als Erwachsene, nicht ein, dass den Kleinen keine Schuld trifft? Er weiß nicht, was er tut.«
    Zutiefst gekränkt, mit einem urinierenden Baby verglichen zu werden, hüllte sich Saladin weiter in, wie er hoffte, würdevolles Schweigen. Zum Zeitpunkt seines Studienabschlusses hatte er einen britischen Pass , weil er rechtzeitig vor der Verschärfung der Gesetze ins Land gekommen war, und so konnte er Changez in einer kurzen Nachricht davon in Kenntnis setzen, dass er gedenke, sich in London niederzulassen u nd Arbeit als Schauspieler zu suchen. Changez Chamchawala antwortete per Eilbrief. » Könntest genausogut ein verfluchter Gigolo sein.
    Es ist meine Überzeugung, dass irgendein Teufel in dich gefahren ist und dir den Verstand geraubt hat. Du, dem so vieles gegeben worden ist: Hast du nicht das Gefühl, dass du irgendjemandem irgendetwas schuldest? Deiner Heimat?
    Dem Gedenken an deine liebe Mutter? Dir selbst? Willst du dein Leben damit verbringen, verkleidet im Scheinwerferlicht herumzuhüpfen, blonde Frauen zu küssen unter den Blicken von Fremden, die dafür bezahlt haben, Zeugen deiner Schande zu sein? Du bist mein Sohn nicht mehr, sondern ein Ghul, ein Hoosh, ein Dämon aus der Hölle. Ein Schauspieler! Beantworte mir eine Frage: Was soll ich meinen Freunden sagen?«
    Und nach der Unterschrift das pathetische, gereizte Postskriptum: »Jetzt, da du deinen eigenen bösen Dschinn hast, glaube ja nicht, dass du die Wunderlampe erben wirst.«
     
    Danach schrieb Changez Chamchawala in unregelmäßigen Abständen an seinen Sohn, und in jedem Brief kam er auf Teufel und Besessenheit zu sprechen: »Ein Mensch, der sich selbst untreu ist, wird zu einer zweibeinigen Lüge, und solche Ausgeburten sind Schaitans Meisterwerke«, schrieb er, und auch - in eher sentimentalem Ton: »Ich bewahre deine Seele an einem sicheren Ort auf, mein Sohn, hier in diesem Walnussbaum . Der Teufel besitzt nur deinen Leib. Wenn du dich von ihm befreit hast, komm zurück und hol deine unsterbliche Seele. Sie wächst und gedeiht im Garten.«
    Im Lauf der Jahre veränderte sich die Handschrift in diesen Briefen, die blumige Zuversicht, die sie sofort erkennbar gemacht hatte, wurde kärglicher, schlicht, geläutert. Schließlich hörten die Briefe auf, doch aus anderen Quellen erfuhr Saladin, dass die Beschäftigung seines Vaters mit dem Übernatürlichen sich weiter vertiefte, bis er zuletzt zu einem Einsiedler wurde, vielleicht um einer Welt zu entfliehen, in der Teufel den Körper seines eigenen Sohnes stehlen konnten, einer für einen Mann von wahrem religiösen Glauben gefährlichen Welt.
    Die Wandlung seines Vaters beunruhigte Saladin, sogar auf so große Entfernung. Seine Eltern waren Moslems gewesen, in der nachlässigen, unbeschwerten Weise der Menschen von Bombay; Changez Chamchawala war seinem kleinen Sohn weit göttlicher erschienen als irgendein Allah. Dass sein Vater, diese weltliche Gottheit (obzwar nun in Misskredit geraten) im Alter auf die Knie gesunken war und begonnen hatte, sich gegen Mekka hin zu verneigen, war für seinen gottlosen Sohn schwer zu akzeptieren.
    »Diese Hexe ist schuld«, sagte er sich und verfiel zu rhetorischen Zwecken in dieselbe Sprache der Zaubersprüche und Kobolde, derer sich sein Vater bediente. »Diese Nasreen Zwei. Bin ich das Opfer der Teufelskunst, bin ich derjenige, der besessen ist? Es ist nicht meine Handschrift, die sich geändert hat.«
    Die Briefe kamen nicht mehr. Jahre vergingen; und dann kehrte Saladin Chamcha, Schauspieler, Selfmademan, mit den Prospero Players nach Bombay zurück, um die Rolle des indischen Arztes in der Millionärin von George Bernard Shaw zu verkörpern. Auf der Bühne passte er seine Sprechweise den Erfordernissen der Rolle an, aber die langunterdrückte Ausdrucksweise, die ausrangierten Vokale und Konsonanten begannen, auch außerhalb des Theaters aus seinem Mund zu sickern. Seine Stimme verriet ihn; und er entdeckte, dass seine Bestandteile auch anderer Verrätereien fähig waren.
     
    Ein Mensch, der daran geht, sich zu erfinden, macht sich, gemäß einer Art, die Dinge zu sehen, die Rolle des Schöpfers zu eigen; er handelt wider die Natur, ist ein Gotteslästerer, verabscheuungswürdiger als alle anderen Gräuel . Aus einer anderen Perspektive könnte man Pathos in ihm erkennen, Heroismus in seinem Kampf, in seiner Bereitschaft zum Risiko: nicht alle Mutanten

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