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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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überleben. Oder, soziopolitisch betrachtet: die meisten Auswanderer lernen und können zu Masken werden. Unsere eigenen falschen Selbstdarstellungen dienen zur Bekämpfung der Fals chheiten, die über uns erfunden werden, und verschleiern aus Gründen der Sicherheit unser verborgenes Ich.
    Ein Mann, der sich erfindet, braucht jemanden, der an ihn glaubt, der beweist, dass es ihm gelungen ist. Wiederum Gott spielen, könnte man sagen. Oder man könnte ein wenig zurückstecken und an Tinkerbell denken; Feen existieren nur, wenn Kinder in die Hände klatschen. Oder man könnte einfach sagen: So ist es eben, wenn man ein Mensch ist.
    Nicht nur das Bedürfnis, dass ein anderer an einen glaubt, sondern auch das, an einen anderen zu glauben. Sie haben es erraten: Liebe.
    Saladin Chamcha lernte Pamela Lovelace fünfeinhalb Tage vor dem Ende der sechziger Jahre kennen, als die Frauen noch indische Tücher im Haar trugen. Sie stand in der Mitte eines Zimmers voller trotzkistischer Schauspielerinnen und sah ihn mit strahlenden, so strahlenden Augen an. Den ganzen Abend belegte er sie mit Beschlag, und sie hörte nie auf zu lächeln und ging mit einem anderen Mann weg. Zu Hause träumte er von ihren Augen und ihrem Lächeln, ihrem schlanken Körper, ihrer Haut. Er verfolgte sie zwei Jahre lang. England rückt seine Schätze nur widerwillig raus. Er war erstaunt über seine eigene Beharrlichkeit und begriff, dass sie zum Treuhänder seines Schicksals geworden war, dass sein Versuch einer Metamorphose fehlschlagen würde, wenn sie nicht nachgab.
    » Lass mich«, flehte er, während er artig auf dem weißen Teppich mit ihr rang, dessen schuldbewusster Flaum ihn bedeckte, wenn er an mitternächtlichen Bushaltestellen stand.
    »Glaub mir. Ich bin der Richtige.«
    Eines Abends, aus heiterem Himmel, ließ sie ihn, sie sagte, sie glaube ihm. Er heiratete sie, bevor sie ihre Meinung ändern konnte, lernte aber nie, ihre Gedanken zu lesen. Wenn sie unglücklich war, schloss sie sich im Schlafzimmer ein, bis es ihr besser ging. »Das geht dich nichts an«, sagte sie. »Ich will nicht, dass mich jemand in diesem Zustand sieht.« Er nannte sie eine Auster. »Mach auf«, rief er und hämmerte an all die verschlossenen Türen ihres gemeinsamen Lebens, zuerst im Tiefparterre, dann in der Etagenwohnung, dann in der Villa.
    »Ich liebe dich, lasse mich rein.« Er bedurfte ihrer so sehr, damit sie ihn seiner eigenen Existenz versicherte, dass er nie die Verzweiflung in ihrem betörenden, ununterbrochenen Lächeln verstand, das Entsetzen in dem Strahlen, mit dem sie der Welt entgegentrat oder die Gründe, warum sie sich verkroch, wenn sie kein strahlendes Lächeln zustande brachte. Erst als es bereits zu spät war, erzählte sie ihm, dass ihre Eltern gemeinsam Selbstmord begangen hatten, gerade als sie zum ersten Mal menstruierte; bis zum Hals in Spielschulden ließen sie sie zurück mit einer aristokratisch grölenden Stimme, die sie als begnadetes Mädchen auszeichnete, als beneidenswerte Frau, während sie tatsächlich verlassen war, verloren, ihre Eltern nicht einmal gewartet hatten, bis sie erwachsen war, so sehr war sie geliebt worden, deshalb hatte sie natürlich überhaupt kein Selbstvertrauen, jeder Augenblick ihres Lebens war voller Panik, deswegen lächelte sie und lächelte, und ungefähr einmal in der Woche verschloss sie die Tür und bebte und zitterte und fühlte sich wie e ine Hülse, wie eine leere Erdnuss schale, wie ein Affe ohne Kokosnuss.
    Sie bekamen keine Kinder; sie gab sich selbst die Schuld.
    Nach zehn Jahren entdeckte Saladin, dass mit seinen Chromosomen irgendetwas nicht stimmte, zwei Abschnitte zu lang, oder zu kurz, er erinnerte sich nicht mehr. Sein genetisches Erbe; offensichtlich musste er sich glücklich schätzen, dass er überhaupt lebte, dass er nicht irgendeine Art deformierter Freak war. War es seine Mutter oder sein Vater, von dem? Die Ärzte wussten es nicht; er gab die Schuld, es ist leicht zu erraten, wem, schließlich soll man nicht schlecht über die Toten reden.
    In letzter Zeit hatten sie sich nicht gut verstanden.
    Sagte er sich später, aber nicht währenddessen.
    Später sagte er sich, unsere Ehe war kaputt, vielleicht weil wir keine Kinder hatten, vielleicht hatten wir uns nur auseinandergelebt, vielleicht dieses, vielleicht jenes.
    Währenddessen übersah er geflissentlich alle Spannungen, die Sticheleien, die Streitereien, die nie richtig in Gang kamen, verschloss die Augen und wartete, bis ihr

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