Die Satanischen Verse
Am Bett standen seine alten Pantoffeln: Er war , wie er es vorausgesagt hatte, »ein Paar leerer Schuhe« geworden. Im Bettzeug noch der Körperabdruck seines Vaters, das Zimmer war voll widerlichem Parfüm: Sandelholz, Kampfer, Nelken. Er nahm die Lampe aus dem Regal und setzte sich a n Changez’ Schreibtisch. Er zog ein Taschentuch hervor und rieb schnell: einmal, zweimal, dreimal. Alle Lichter gingen sofort an.
Zeenat Vakil betrat das Zimmer.
»O Gott, Entschuldigung, vielleicht wolltest du sie aus haben, aber bei den geschlossenen Rollläden wirkte alles so traurig.«
Wie sie mit den Armen herumfuchtelte, laut mit ihrer wundervoll krächzenden Stimme redete, das Haar ausnahmsweise zu einem hüftlangen Pferdeschwanz gebunden: da stand sie, sein Dschinn. »Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht früher gekommen bin, ich wollte dir nur wehtun , aber was für eine Zeit habe ich mir dafür ausgesucht, so verdammt selbstgefällig, ach jaa, es ist schön, dich zu sehen, du armes Waisenkind.«
Sie war so wie immer, steckte bis zum Hals im Leben, verband gelegentliche Kunstvorlesungen an der Universität mit der Tätigkeit als Ärztin und politischen Aktivitäten. »Ich war in dem verdammten Krankenhaus, als ihr dort wart. Ich war da, Mensch, aber ich erfuhr das mit deinem Vater erst, als es vorbei war, und selbst dann bin ich nicht gekommen, um dich in den Arm zu nehmen, bin ich nicht ein Scheusal, wenn du mich rausschmeißen willst, werd’ ich mich nicht beklagen.« Sie war eine großzügige Frau, die großzügigste, der er je begegnet war.
Wenn du sie siehst, weißt du es, hatte er sich versprochen, und es erwies sich als richtig. »Ich liebe dich«, hörte er sich sagen.
»Okay, ich nagle dich nicht darauf fest«, sagte sie schließlich und machte ein hocherfreutes Gesicht. »Du bist offenbar aus dem seelischen Gleichgewicht geraten. Hast Glück, dass du nicht in einem unserer großen staatlichen Krankenhäuser bist; dort stecken sie die Irren gleich neben die Heroinsüchtigen, und der Drogenhandel auf den Stationen funktioniert so gut, dass die armen Schizos sich schlechte Angewohnheiten zulegen. Wenn du das in vierzig Tagen noch mal sagst, dann Pass auf, ich könnte es ernst nehmen. Aber jetzt ist es wohl eher eine Krankheit.«
Mit erhobenem Kopf (und, wie es schien, ohne Anhang) vervollständigte Zeeny mit ihr em Wiedereintritt in sein Leben den Prozess seiner Erneuerung, seiner Regeneration, der das überraschendste und paradoxe Produkt der tödlichen Krankheit seines Vaters war. Sein altes englisches Leben, seine Bizarrheiten, seine Übel schienen weit entfernt, sogar irrelevant, wie sein verkürzter Künstlername. »Wurde auch Zeit«, stimmte Zeeny zu, als er ihr von seiner Rückkehr zu Salahuddin berichtete. »Jetzt kannst du endlich mit der Schauspielerei aufhören.« Ja, es sah tatsächlich nach dem Beginn eines neuen Abschnitts aus, in dem die Welt fest und real sein würde und in dem nicht mehr die breite Gestalt eines Vaters zwischen ihm und der Unvermeidlichkeit des Grabs stünde. Ein Leben als Waise, wie das Muhammads, wie das aller.
Ein Leben, erleuchtet von einem seltsam strahlenden Tod, der vor seinem geistigen Auge wie eine Art Wunderlampe weiterglomm.
Von nun an muss ich an mich selber denken, ah lebte ich beständig im ersten Augenblick der Zukunft, beschloss er wenige Tage später in Zeenys Wohnung in der Sophia College Lane, während er sich in ihrem Bett von dem bissigen Überschwang ihrer Liebe erholte. (Sie hatte ihn schüchtern zu sich nach Hause eingeladen, als lüftete sie einen Schleier, hinter dem sie sich lange Zeit versteckt hatte.) Doch so leicht lässt sich eine Geschichte nicht abschütteln; schließlich lebte er ebenso im gegenwärtigen Augenblick der Vergangenheit, und sein altes Leben brach um ihn herum wieder auf, um den letzten Akt zu beschließen.
Er wurde sich bewusst , dass er ein reicher Mann war. Gemäß den Verfügungen in Changez’ Testament sollten das riesige Vermögen und die Myriaden Geschäftsbeteiligungen von einer Gruppe erfahrener Treuhänder verwaltet werden, wobei das Einkommen zu gleichen Teilen auf drei Personen aufgeteilt werden sollte: Changez’ zweite Frau Nasreen, Kasturba, die er in dem Dokument als »in jedem Sinn des Wortes meine dritte Frau« bezeichnete, und s einem Sohn Salahuddin. Nach dem Tod der beiden Frauen konnte der Trust allerdings aufgelöst werden, wann immer Salahuddin wollte: kurz, er erbte alles.
»Unter der
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