Die Satanischen Verse
einer einzigen einheitlichen Kraft nachgewiesen hätten, die den Elektromagnetismus, die Schwerkraft und die starken und schwachen Kräfte der neuen Physik als bloße Teilaspekte derselben Sache integriert als Avataras, könnte man sagen, oder als Engel, dann wären wir wieder bei der ältesten Erklärung der Welt, bei einer höchsten Wesenheit, die über die ganze Schöpfung herrschte… »Verstehen Sie was unser Freund sagt, ist folgendes: Wenn man die Wahl hat zwischen irgendeiner Art von körperlosem Kraftfeld und einem wirklichen, lebendigen Gott, wofür würden Sie sich entscheiden? Gutes Argument, na? Zum elektrischen Strom kann man nicht beten.
Es hat keinen Sinn, das Licht, ob Partikel oder Welle, um den Schlüssel zum Paradies zu bitten.« Er schloss die Augen, riss sie wieder auf. »Leeres Geschwätz«, sagte er wütend. »Macht mich krank.«
Nach ein paar Tagen fiel Chamcha Gibrils schlechter Atem nicht mehr auf, weil niemand in dieser Welt aus Schweiß und Angst besser roch. Aber es war unmöglich, sein Gesicht zu übersehen, nicht zu bemerken, wie die großen purpurnen Schwielen seiner Wachheit sich wie Ölflecken auf seinen Augen ausbreiteten. Dann brach schließlich sein Widerstand, und sein Kopf sank auf Saladins Schulter, und er schlief vier Tage lang, ohne auch nur einmal aufzuwachen.
Als er wieder zu Bewusstsein kam, merkte er, dass Chamcha ihn mit Hilfe der mausähnlichen, ziegenbärtigen Geisel, einem gewissen Jalandri, auf eine leere Sitzreihe im mittleren Teil des Flugzeugs gelegt hatte. Er ging auf die Toilette, urinierte elf Minuten lang und kehrte mit handfestem Entsetzen im Blick zurück. Er setzte sich wieder neben Chamcha, sagte aber kein Wort. Zwei Nächte später hörte ihn Chamcha wieder gegen das Einschlafen ankämpfen. Oder, wie sich herausstellte: gegen die Träume.
»Der zehnthöchste Berg der Welt«, hörte Chamcha ihn murmeln, »ist Xixabangma Feng, acht null eins drei Meter.
Anapurna der neunthöchste, a chtzig achtundsiebzig.« Oder er begann am anderen Ende: »Eins, Chomolungma, acht acht vier acht. Zwei, K2, sechsundachtzig elf. Kanchenjunga, fünfundachtzig achtundneunzig, Makalu, Dhaulagiri, Manaslu.
Nanga Parbat, achttausendeinhundertsechsundzwanzig Meter.«
»Zählen Sie Achttausender, um einschlafen zu können?«
fragte ihn Chamcha. Größer als Schafe, aber nicht so zahlreich.
Gibril Farishta starrte ihn an; senkte den Kopf; kam zu einem Entschluss . »Nicht um einzuschlafen, mein Freund. Um wach zu bleiben.«
Bei dieser Gelegenheit fand Saladin Chamcha heraus, warum Gibril Farishta den Schlaf fürchtete. Jeder braucht jemanden, mit dem er reden kann, und Gibril hatte mit niemandem über das gesprochen, was geschehen war, nachdem er die unreinen Schweine gegessen hatte. Die Träume hatten in jener Nacht begonnen. In diesen Visionen war er immer gegenwärtig, nicht als er selbst, sondern als sein Namensvetter, und ich meine damit nicht die Verkörperung einer Rolle, Spoono, ich bin er, er ist ich, ich bin der verdammte Erzengel, Gibril persönlich, in Lebensgröße.
Spoono. Wie Zeenat Vakil hatte Gibril mit großer Heiterkeit auf Saladins abgekürzten Namen reagiert. »Bhai, so was. Ich bin hin und weg, wirklich. Ganz hin und weg. Wenn du jetzt also ein englischer Chamcha bist, auch recht. Mr. Sally Spoon. Ein wirklich guter Witz.« Gibril Farishta hatte eine unmögliche Art, nicht zu merken, wenn er jemanden wütend machte. Spoon, Spoono, altes Haus: Saladin hasste sie alle. Konnte aber sonst nichts tun. Außer hassen.
Vielleicht lag es an den Spitznamen, vielleicht auch nicht, doch Saladin fand Gibrils Enthüllungen pathetisch, enttäuschend, was war so komisch daran, dass er in seinen Träumen als Engel auftrat, in Träumen ist verdammt alles möglich, kam dabei mehr als eine banale Art von Egomanie ans Tageslicht? Aber Gibril schw itzte vor Angst: »Die Sache ist nämlich die, Spoono«, bat er um Verständnis, » jedes Mal , wenn ich einschlafe, fängt der Traum dort wieder an, wo er aufgehört hat. Der gleiche Traum, der gleiche Schauplatz. Als ob jemand den Videorecorder angehalten hätte, während man aus dem Zimmer geht. Oder… oder… als ob er der wäre, der wach ist, und das hier der verdammte Alptraum. Sein verdammter Traum: wir. Hier. Das Ganze.« Chamcha starrte ihn an.
»Verrückt, nicht wahr«, sagte Gibril. »Wer weiß, ob Engel überhaupt schlafen, geschweige denn träumen. Ich klinge verrückt. Habe ich recht oder wie oder
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