Die Satanischen Verse
wenig verlegen. Er hatte geglaubt, dass in einem Land fanatischer Gläubiger die Vorstellung, dass die Naturwissenschaft der Feind Gottes sei, mühelos Anklang finden würde; aber die Langeweile der Rotarier von Cochin hatte ihn entlarvt. Im flackernden Licht des Films fuhr Dumsday fort, mit der Stimme eines unschuldigen Ochsen Geschichten zu erzählen, die ihn bloßstellten, ohne die leiseste Ahnung zu haben, was er da tat. Am Ende einer Rundfahrt durch den herrlichen natürlichen Hafen von Cochin, wohin Vasco da Gama auf der Suche nach Gewürzen gekommen war und so die ganze zweischneidige Ost-West-Geschichte in Gang gebracht hatte, war er von einem Bengel mit Pssts und HeMister-Okays angemacht worden. »Hallo, ja Sie, Sir. Wollen Sie Haschisch, Sahib? He, Misteramerika. Ja, Onkelsam, wollen Sie Opium, beste Qualität, Spitzenpreis? Okay, wollen Sie Kokain?«
Saladin begann, hilflos zu kichern. Der Vorfall kam ihm vor wie Darwins Rache: wenn Dumsday den armen, stocksteifen, viktorianischen Charles für die amerikanische Drogenkultur verantwortlich machte, wie köstlich war es dann, dass er selbst, auf der anderen Seite der Erdkugel, für die Repräsentanten ebendieser Ethik gehalten wurde, gegen die er so leidenschaftlich kämpfte. Dumsday richtete einen Blick gequälten Vorwurfs auf ihn. Es war ein schweres Los, ein Amerikaner im Ausland zu sein und nicht zu wissen, warum man so unbeliebt war.
Nachdem Saladins Lippen das unfreiwillige Kichern entschlüpft war, sank Dumsday in einen mürrischen, beleidigten Halbschlaf und überließ Chamcha seinen eigenen Gedanken.
Sollte man diesen Film als eine besonders abstoßende, zufallsbedingte Mutation der Spezies ansehen, eine, die schließlich durch natürliche Selektion aussterben würde, oder stellten solche Filme die Zukunft des Kinos dar? Es war zu grässlich , sich eine Zukunft von Sahnetortenhumorfilmen, ständig mit Shelley Long und Chevy Chase in der Hauptrolle, vorzustellen; es war eine Vision der Hölle… Chamcha war gerade wieder am Einschlafen, als die Kabinenlichter aufleuchteten; der Film wurde unterbrochen; und die Illusion des Kinos wich der Illusion der Fernsehnachrichten, als vier bewaffnete, schreiende Gestalten die Gänge entlanggelaufen kamen.
Hundertelf Tage wurden die Passagiere im entführten Flugzeug festgehalten, von der Außenwelt abgeschnitten auf einer flirrenden Rollbahn, an die die hohen Sandwellen der Wüste schlugen, denn sobald die vier Entführer, drei Männer und eine Frau, den Piloten zur Landung gezwungen hatten, konnte man sich nicht entschließen, wie mit ihnen zu verfahren war. Sie waren nicht auf einem internationale n Flughafen gelandet, sondern auf der absurden Torheit einer Landepiste, groß genug für Jumbos, die zum Vergnügen des ortsansässigen Scheichs in seiner Lieblingsoase gebaut worden war und zu welcher jetzt eine sechsspurige Autobahn führte, die sich bei unverheirateten jungen Männern und Frauen großer Beliebtheit erfreute, die in langsamen Autos diese unendliche Leere entlangfuhre n und miteinander liebäugelten… sobald jedoch 420 hier gelandet war, war die Straße voller gepanzerter Fahrzeuge, Truppentransporter, Limousinen, flatternder Banner. Und während Diplomaten um das Schicksal des Flugzeuges schacherten - stürmen oder nicht stürmen - , während sie zu entscheiden suchten, ob sie nachgeben oder das Leben der Menschen aufs Spiel setzen und hart bleiben sollten, senkte sich eine große Stille auf das Flugzeug, und nicht lange danach begannen die Wahnvorstellungen.
Am Anfang war der Fluss der Ereignisse nicht abgebrochen, stand das Entführerquartett unter Strom, war ständig auf dem Sprung, hatte stets den Finger am Abzug. Das sind die schlimmsten Augenblicke, dachte Chamcha, während Kinder schrien und die Angst sich wie ein Schmutzfleck ausbreitete, jetzt können wir alle draufgehen. Dann hatten sie alles unter Kontrolle, drei Männer eine Frau, alle hochgewachsen, keiner vermummt, alle gutaussehend, auch sie waren Schauspieler, sie waren jetzt Stars, Sternschnuppen oder Meteore und sie hatten Künstlernamen. Dara Singh Buta Singh Man Singh. Die Frau hieß Tavleen. Die Frau im Traum war namenlos gewesen, als ob in Chamchas Schlafphantasie nicht genug Zeit für Pseudonyme gewesen wäre; aber wie sie sprach Tavleen mit kanadischem Akzent, abgeschliffen, mit verräterisch runden Os.
Nachdem das Flugzeug in der Oase von Al-Zamzam gelandet war, wurde den Passagieren, die ihre Entführer mit der
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