Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
drei jungen Entführer mit den Turbanen dem Wahnsinn gefährlich nahe kamen und in die Wüstennacht hinausschrien ihr Schweinehunde, kommt und holt uns, oder wahlweise o Gott o Gott, die werden die verdammten Kommandos schicken, diese Arschlöcher von Amerikanern, diese Scheißkerle von Engländern - Augenblicke, in denen die verbliebenen Geiseln die Augen schlossen und beteten, weil sie immer dann die größte Angst hatten, wenn die Entführer Zeichen von Schwäche zeigten -, beruhigte sich die Lage, sie normalisierte sich, sozusagen. Zweimal am Tag brachte ein Fahrzeug Speisen und Getränke zur Bostan und ließ sie auf der Rollbahn stehen. Geiseln mussten die Kartons holen, während die Entführer sie aus der Sicherheit des Flugzeugs heraus beobachteten. Abgesehen von diesen täglichen Visiten gab es keinen Kontakt zur Außenwelt. Das Radio funktionierte nicht mehr. Es war, als hätte man den Zwischenfall vergessen, als wäre er so peinlich, dass man ihn einfach aus den Akten gestrichen hatte. »Die Schweinehunde lassen uns verrecken«, brüllte Man Singh, und die Geiseln stimmten lustvoll mit ein.
    »Hijras! Chootias! Scheißkerle!«
    Sie waren in Hitze und Schweigen gehüllt, und nun begannen ihnen die Hirngespinste aus den Augenwinkeln zu schimmern.
    Die am zartesten besaitete der Geiseln, ein junger Mann mit Ziegenbart und kurzgeschorenem Lockenkopf erwachte in der Morgendämmerung, laut kreischend vor Angst, weil er ein Skelett gesehen hatte, das auf einem Kamel über die Dünen ritt. Andere Geiseln sahen bunte Planeten am Himmel hängen oder hörten riesige Flügel schlagen. Die drei männlichen Entführer fielen in tiefen, fatalistischen Trübsinn. Eines Tages zitierte Tavleen sie zu einer Unterredung ans andere Ende des Flugzeugs; den Geiseln drangen wütende Stimmen ans Ohr.
    »Sie will sie dazubringen, ein Ultimatum zu stellen«, sagte Gibril Farishta zu Chamcha. »Einer von uns muss sterben, oder so ähnlich.« Aber die Männer kamen ohne Tavleen zurück, und in der Niedergeschlagenheit ihrer Blicke lag eine Spur Scham.
    »Sie haben den Mut verloren«, flüsterte Gibril. »Kein Mumm.
    Was bleibt nun unserer Tavleen Bibi übrig?
    Nichts. Die Sache ist geplatzt. Funtoosh.«
    Was sie tat:
    Um ihren Gefangenen und auch ihren Mitentführern zu beweisen, dass der Gedanke an Scheitern, an Aufgeben ihre Entschlossenheit niemals schwächen würde, kam sie aus ihrem derzeitigen Schlupfwinkel in der Ersten-Klasse-Cocktailbar und baute sich vor ihnen auf wie eine Stewardess , die Sicherheitsmaßnahmen demonstrierte. Aber anstatt eine Schwimmweste anzulegen und eine Sauerstoffmaske in die Höhe zu halten, hob sie schnell die weite schwarze Dschellaba hoch, die alles war, was sie trug, und stand splitternackt vor ihnen, so dass alle das Waffenarsenal an ihrem Körper sehen konnten; die Granaten schmiegten sich wie überzählige Brüste an ihre echten, das Gelatinedynamit hing um ihre Hüfte, genau wie Chamcha es geträumt hatte. Dann ließ sie das Gewand wieder fallen und sprach mit ihrer leisen Meeresstimme. »Wenn eine große Idee geboren wird, eine große Kraft, dann wird man gewisse entscheidende Fragen an sie richten müssen«, murmelte sie. »Die Geschichte fragt uns: Was für eine Kraft sind wir? Sind wir kompromisslos , absolut, stark, oder sind wir Opportunisten, die Zugeständnisse machen, sich anpassen und nachgeben?« Ihr Körper hatte für sie geantwortet.
    Die Tage vergingen. Die beengten, siedenden Umstände seiner Gefangenschaft, zugleich intim und fremd, ließen in Saladin Chamcha den Wunsch entstehen, mit der Frau zu streiten, Unbeugsamkeit kann auch eine fixe Idee sein, wollte er sagen, sie kann Tyrannei sein, und sie kann auch porös sein, wogegen das, was biegsam ist, auch menschlich sein kann, und stark genug, um zu überdauern. Aber natürlich sagte er nichts, er versank in der Erstarrung der Tage. Gibril Farishta entdeckte im Netz der Sitzlehne vor ihm eine von Dumsday verfasste Broschüre. Mittlerweile hatte Chamcha die Entschlossenheit bemerkt, mit der sich der Filmstar dem Schlaf widersetzte, und so überraschte es ihn nicht, als Gibril die Zeilen der Broschüre des Anhängers der Weltschöpfungslehre aufsagte und auswendig lernte, während seine ohnehin schweren Augenlider sich mehr und mehr senkten, bis er sie zwang, sich wieder weit zu öffnen. In der Broschüre wurde behauptet, dass selbst Naturwissenschaftler fleißig dabei seien, Gott wiederzuerfinden, dass sie, sobald sie die Existenz

Weitere Kostenlose Bücher