Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)
die Hand. »Geh ran. Wir haben immer noch einen Beruf, auch wenn du gewonnen hast.«
Seufzend meldete sich Karl. »Ja? Tom? Es ist hoffentlich verdammt wich …«
Naomi sah mit an, wie innerhalb von zehn Sekunden alles Blut aus Karls Gesicht wich.
»Was ist, Karl?«, fragte sie, kaum dass er zwei Minuten später aufgelegt hatte. »Was ist los?«
Die Sonne, die in das Zimmer schien, zeigte Karls plötzlich niedergeschlagenes Gesicht.
»Das … das war Hicks. Es geht um … um Ivana. Sie ist ermordet worden.«
Kapitel Fünfzehn
»Der Tod muss schön sein. In der weichen, braunen Erde liegen, wehendes Gras über meinem Haupt und in die Stille lauschen; kein Gestern und kein Morgen kennen; die Zeit vergessen, dem Leben verzeihen, im Frieden sein.«
Oscar Wilde, Das Gespenst von Canterville
Rund eine Viertelmillion Menschen waren auf dem Friedhof der Stadt Belfast begraben, darunter Politiker, Unternehmer und Autoren wie Robert Wilson Lynd, einer der besten Schriftsteller, die Belfast je hervorgebracht hat, Freund von J.B. Priestley und James Joyce. Auf dem Friedhof gibt es zahlreiche wunderschöne schmiedeeiserne Brunnen und sogar einen Bach, der hindurchfließt. Eine Legende besagt, dass dieser Bach der Reinigung diene und die Sünden der vergessenen und verlorenen Seelen fortspüle.
Im Lauf der Jahre hatte Karl viele Beerdigungen auf diesem Friedhof besucht, manche mit wenigen Teilnehmern, andere, die ein großes Publikum hatten. Aber nichts hatte ihn auf die Massen der schwulen und transsexuellen Szene vorbereitet, die sich auf dem Gelände drängten, als an diesem klaren Mittwoch Ivanas roter Sarg langsam in die Erde hinabgelassen wurde. Die Lokalreporter – die hier eine Art Jahrmarkt erwarteten – waren offenbar bitter enttäuscht davon, wie pietätvoll sich die Trauernden und Schaulustigen verhielten, und schienen bemüßigt, sich ihre Erwartungen selbst zu erfüllen, indem sie sich ihrerseits wie Clowns verhielten und wie Pferde beim Hindernisrennen über Grabsteine hüpften, um sich – Kameras und Ellbogen wie Waffen einsetzend – die besten Plätze zu sichern.
Zugegeben, zahlreiche Trauernde trugen
tatsächlich
schrille Klamotten und regenbogenfarbene Kleider; die große Mehrzahl, darunter auch Karl und Naomi, waren jedoch in Schwarz oder Grau erschienen.
»Oh, Karl«, sagte Naomi schniefend, »Die arme Ivana … sie … sie hat doch keinem je … etwas getan. Oder?«
»Nein. Natürlich nicht«, antwortete Karl, dessen misstrauischer und zynischer Verstand freilich vom Gegenteil ausging.
»Wieso … warum die arme Ivana?«
»Ich weiß es wirklich nicht, Süße«, sagte Karl, der sich insgeheim genau dieselbe Frage stellte.
»Hat Tom irgendwas gesagt, wie es passiert ist?«
»Die Polizei sagt, dass es ein Einbruch war, der aus dem Ruder gelaufen ist. In den vergangenen zwei Monaten gab es davon eine ganze Serie in dem Viertel. Die gehen davon aus, dass eine Person oder Gruppe dahintersteckt«, antwortete Karl, der die schrecklichen Einzelheiten von Ivanas grausamer Ermordung bewusst verschwieg: Man hatte ihr die Kehle von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt und ihr beinahe den Kopf abgetrennt.
Naomi schniefte erneut und tupfte sich die Augen mit einem Kleenex ab. »Die sind böse … böse, Karl.«
»Hallo«, ertönte eine Stimme unmittelbar hinter Karl und Naomi.
Karl drehte sich um und sah Detective Malcolm Chambers direkt ins Gesicht.
»Hallo«, sagte Karl und bemühte sich, seine Stimme unter Kontrolle zu halten. »Naomi, das ist Detective Malcolm Chambers, einer von Detective Inspector Mark Wilsons
neuen
und
besseren
Männern.«
»Oh … hallo«, schniefte Naomi und streckte die Hand aus.
»Hallo«, entgegnete Chambers lächelnd, schüttelte Naomi die Hand und wandte sich dann wieder Karl zu. »Es ist seltsam, aber
Ihren
Namen kenne ich immer noch nicht.«
»Was machen Sie hier?«, fragte Karl und drängte Naomi unauffällig ein Stück von dem lächelnden Chambers weg.
»Man hat mir die Leitung der Ermittlungen im Mordfall Gilmore übertragen.«
»Gilmore? Oh … Ivana.« Ivanas Nachname klang ausgesprochen fremd in Karls Ohren. »Ich will nicht unhöflich sein, Detective, aber wie viele Mordfälle hatten Sie bis jetzt genau?«
»Das … das ist an sich mein erster.«
»Wie schön, dass die Polizei diesen Fall so ernst nimmt«, kommentierte Karl sarkastisch.
»Gibt es schon Verdächtige, Detective Chambers?«, fragte Naomi.
»Na ja …« Chambers blickte
Weitere Kostenlose Bücher