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Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Titel: Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Millar
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mit leicht zähflüssigen Aussickerungen. Instinktiv wich Karl zurück.
    »Was … was ist mit Ihrer Hand los? Sie blutet.«
    »Stigmata«, antwortete Jesus lächelnd, ein unheimliches und wunderbares Lächeln. »Das können Sie nicht ignorieren. Sie können nicht wegsehen, Karl.«
    »Natürlich«, antwortete Karl sarkastisch. »Muss ich mir auch zulegen, ein echter Partyknüller.«
    Jesus schnippte mit den Fingern und förderte angezündete Zigaretten zutage – zwei. Eine steckte sich Jesus in den Mund, die andere bot er Karl an.
    »Nein danke«, sagte Karl. »Ich versuche, es mir abzugewöhnen.«
    »Führe uns nicht in Versuchung, hm?«, sagte Jesus und ließ ein blendend weißes Lächeln sehen, für das jeder Werbefilmer getötet hätte.
    »So ungefähr.«
    Jesus zog zaghaft an der Zigarette, schloss die Augen und genoss offenbar den Geschmack.
    »Es ist
sehr
lange her, seit ich zum letzten Mal so eine hatte. Die habe ich böse gebraucht. Ups. Böse sollte ich im Zusammenhang mit meiner Person wohl besser nicht sagen, oder?«
    Karl sagte nichts, sondern sah zu, wie die Zigarette sich langsam selbst verschlang und in Rauch auflöste wie ein einsames Gespenst.
    »Nimm meine Hand, Karl«, forderte Jesus ihn mit sanfter, aber bestimmter Stimme auf. »Hab keine Angst. Sie beißt dich nicht.«
    Karl unterdrückte den Impuls, die Bitte auszuschlagen, streckte den Arm aus und ergriff die dargebotene Hand widerwillig.
Peng!
Ein Erschauern, gefolgt von tausend winzigen elektrischen Schlägen, die durch sein Nervensystem jagten, schossen durch seine Wirbelsäule und kamen zu Mund und Ohren heraus. Er stolperte und hatte den Eindruck, als schwebten seine Füße Zentimeter über dem Boden.
    So real. Sooo reaaal. Surreaaaaaaaal.
    »Sachte, Karl. Nichts überstürzen. Es besteht kein Grund zur Eile. Wir haben die ganze Ewigkeit.«
    »Wer … wer
sind
Sie … wirklich?« Jetzt schlich sich ein Unterton des Zweifels in Karls Stimme ein. Er ließ hastig die seltsame Hand des Fremden los.
    »Wirklich? Ich habe dir schon gesagt, wer ich bin: Ich bin der große ›Ich bin‹.«
    »Schön für Sie. Sie klingen allerdings mehr wie ein Häufchen Elend. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, ich muss jetzt los. Es war schön, Sie kennenzulernen, und so weiter.«
    »Ich kann dir helfen, Karl. Vergiss nie, Jesus ist der Erlöser.«
    »Tatsächlich? Und wo bunkert er seinen Erlös? Bei der Bank of Ireland oder der Ulster Bank?«
    »Du kannst wirklich gemein sein, Karl. Du bist ein noch größerer Ungläubiger als Thomas. Wir haben viel gemeinsam, du und ich. Wir wurden beide gekreuzigt«, sagte Jesus, zog das T-Shirt hoch, drehte sich um und zeigte den entblößten Rücken. Der war von Hunderten grässlicher Narben entstellt, ausnahmslos tiefen Schnittwunden, roh und feucht wie Speckscheiben.
    Karl verzog unwillkürlich das Gesicht, als er den geschundenen Rücken sah. »Wer zum Teufel … wer hat das
getan?
«
    »Alle. Lies
zwischen
den Zeilen, Karl. Lass dein Urteilsvermögen nicht von Zynismus oder Schuldgefühlen trüben.«
    »Schuldgefühle? Was für Schuldgefühle?«
    »Wegen deiner Mutter.«
    Karl spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Seine Beine wurden wieder zu Gummi. »Halten Sie meine Mutter da raus.«
    »Du hast deine Mutter nicht ermordet, Karl. Du hast es weder verschuldet noch herbeigeführt. Du warst noch nicht einmal neun Jahre alt. Begreifst du das nach all den Jahren immer noch nicht?«
    »Sie sollten besser damit aufhören, wenn Sie wissen, was gut für Sie ist.«
    »Sie hat dich als Kind verletzt. Du musstest mitansehen, wie sie Affären mit anderen Männern hatte, während dein Vater zur See fuhr. Du hast sie gehasst, weil …«
    »Sie sind ein Lügner! Ich habe sie nicht gehasst! Ich habe meine Mutter nie gehasst. Ich habe sie geliebt. Sie hatte nie Affären!«
    »Und du hast ihr Vorwürfe gemacht, weil sie das Monster in dein Haus brachte. Dieses Monster hat sie ermordet und dich zurückgelassen, weil es dich für tot hielt, und du glaubst, dass deine Gedanken irgendwie mit dem brutalen Mord in Zusammenhang stehen. So funktionieren ungerechtfertigte Schuldgefühle; sie sitzen wie eine Spinne in der Ecke, weben ihr Netz im Dunkeln, erfüllen einen mit Zweifeln und lassen einen am eigenen Gewissen und Glauben zweifeln.«
    »Lügner! Ich besitze keinen sogenannten Glauben. Ich glaube schon lange nicht mehr an diesen falschen Gott. Gott ist Schall und Rauch. Ich schreibe seinen Namen nicht einmal mit einem

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