Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)
stahl sich in seinen Verstand und schaltete Karls ganze Welt ab. Sekunden später löste er sich in ein wogendes Meer der Dunkelheit auf, in dem weiße Lichtblitze zuckten. Die Dunkelheit schien endlos zu sein. Der Boden tat sich auf und verschluckte ihn. Das Zimmer versteckte sich.
Als Letztes sah er die Gestalt eines Mannes, der grinsend neben Cathy stand.
Kapitel Vierundzwanzig
»Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden.«
Voltaire, Epistel an den Verfasser des Buches von den drei Betrügern
»Karl?«
»Hm?«
»Mach die Augen auf, Karl«, forderte eine Männerstimme.
Irgendwo in Karls Kopf fräste sich eine Motorsäge durch den Schädelknochen, als er langsam die Augen aufschlug. Das grelle Licht ätzte wie Säure. Er machte sie hastig wieder zu und schirmte sie mit einem Arm ab.
»Scheiße!«
»Pardon«, ertönte es als Antwort, »daran denke ich einfach nie. Ich sorge für etwas angemessenere Beleuchtung. Ist es so besser?«
Zaghaft zwang Karl sich, die Augen abermals aufzuschlagen. Er befand sich in einer Art Raum. Alles weiß, ausgebleicht, ohne herausragende Merkmale oder Farbtupfer, auf die sich das Auge konzentrieren konnte. Ein Fremder blickte zu den Fenstern von Karls Augen herein. Die Haut des Fremden fluoreszierte auf unheimliche Weise, genau wie der Raum selbst.
Karl war desorientiert. »Wo … wo zur Hölle bin ich?«
»Hölle? Ich hoffe, das war nur ein Versprecher, Karl«, antwortete der Fremde mit verhaltenem Lächeln. »Erinnerst du dich nicht mehr? Dass du gepafft hast wie ein Bengel hinter dem Fahrradschuppen der Schule, bevor du zur Nadel gegriffen hast? Das ist mein Haus – oder
war
es.«
Langsam nahm der Raum Formen und Konturen und Gerüche an – Gerüche nach Weihrauch und Kerzenwachs, die schwer in der Luft lagen.
»Die alte Kirche …? Wer … wer
sind
Sie? Sie sind nicht der, der neben Cathy stand.«
»Errätst du nicht, wer ich bin?«
»Ich bin nicht in der Stimmung für Ratespiele. Sagen Sie es mir einfach.«
»Ich bin Jesus, Karl.«
»Na klar. Dann können Sie mir ja sicher verraten, wer das Grand National gewinnt?«
»Ich unterstütze kein Glücksspiel, Karl.«
»Hat Cathy Ihnen meinen Namen genannt? Wo ist der Mann, der bei ihr war? War das Bob Hannah?«
»Cathy und Bob?« Jesus lachte. »Die sind nicht in meinem Team. Die Sünde tropft aus jeder Pore von Cathys verführerischem Körper. Der alte Trick mit dem Apfel. Das war nicht das erste Mal. Das reicht zurück bis in den Garten Eden. Also
weit
zurück.« Das Lachen wurde verschlagener.
»Wer zum Teufel
sind
Sie?«
»Solche Ausdrücke solltest du in meiner Gegenwart wirklich nicht benutzen. Zum Glück habe ich Sinn für Humor, Karl. Hör ja nicht auf meine durchgeknallten Fans, die dir was anderes erzählen wollen. Ich kann diese ganzen humorlosen wiedergeborenen Christen nicht ausstehen.«
Zum ersten Mal bemerkte Karl, dass das riesige Kruzifix, das von der Decke baumelte, keineswegs unbemannt war. Rasch betrachtete er den Mann etwas eingehender. Bärtig und hager, halb in Fetzen gekleidet und mit einem schmutzigen T-Shirt, auf dem stand:
»Ich war Atheist, bis mir klar wurde, dass ich Gott bin.«
Karl kam er vage bekannt vor, als hätte er ihn schon einmal gesehen.
Karl wollte aufstehen, spürte aber plötzlich, wie seine Beine zu Gummi wurden.
»Oh …«
»Obacht«, riet die besänftigende Stimme von Jesus.
Karl spürte brennende Galle in seiner Kehle aufsteigen. Unvermittelt brach er auf dem Boden zusammen und übergab sich heftig. Seine Welt drehte sich immerzu im Kreis. So übel war ihm seit Jahren nicht mehr gewesen. Er fragte sich, ob er starb – oder schon tot war.
»O Gott«, stöhnte er.
»Ja?«
»Nicht. Okay? Gehen Sie mir nicht auf die Nerven«, sagte Karl kläglich, bemühte sich vergeblich um einen bedrohlichen Tonfall und wischte sich saures Erbrochenes vom Mund. »Ich bin nicht in der Stimmung für diesen Blödsinn.«
»Warum?«
»Sehen Sie das nicht? Ich bin high.«
»Da, wo ich herkomme, hat high eine völlig andere Bedeutung. Sehr viel himmlischer.«
»Ich lach mich tot. Ein echter Frank Carson. Lassen Sie mich einfach in Ruhe … oh … mein Kopf.«
»Du siehst müde und zerschlagen aus, Karl. Du brauchst unbedingt eine Aufmunterung. Wenn du willst, kann ich die Dunkelheit vertreiben und deine Seele erleuchten«, antwortete Jesus. »Komm her, ich helfe dir auf.«
Karl griff nach der Hand und bemerkte ein Loch. Die Wunde machte einen feuchten Eindruck,
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