Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)
Schmerzen gelohnt hatten; immerhin dachte Naomi nicht mehr an letzte Nacht.
»Oh, du Armer«, gurrte Naomi, die die rote Schwellung auf dem betroffenen Bein begutachtete. »Ich hol dir etwas Salbe aus dem Arzneischränkchen. Bin gleich wieder da.«
»Go Your Own Way« verklang leise und wich der Titelmelodie der Nachrichten.
Die tonlose Stimme des Sprechers erklang. »Die Polizei hat bestätigt, dass in den frühen Morgenstunden der Leichnam einer jungen Frau im Lagan gefunden wurde.«
Zuerst stellte Karl keinen Bezug zu den Worten her.
»Ersten Berichten zufolge soll es sich bei der jungen Frau um eine der Obdachlosen handeln, die in der alten Kirche am Custom House Square hausen …«
»Karl? Alles in Ordnung?«, fragte Naomi, als sie das Zimmer betrat.
»Was? Oh … ja …« Plötzlich wurde ihm schwindelig.
»Was war das über eine Frauenleiche, die im Lagan gefunden wurde?«
»Ich … ich hab nicht zugehört.« Er brauchte frische Luft. Alles drehte sich.
»Karl? Was hast du denn? Du siehst gar nicht gut aus. Soll ich dich ins Krankenhaus bringen? Die Verbrühung könnte schlimmer sein als gedacht.«
»… mit einem Kopfschuss …«
Die Worte schmerzten Karl in der Kehle wie ein Fleischerhaken.
Kapitel Siebenundzwanzig
»Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach.«
Oscar Wilde, Ernst sein ist alles
Karl brauchte zwei Tage, bevor er sich dazu durchrang, Hicks in seinem Labor aufzusuchen. Ihm graute davor, Genaueres über die im Lagan gefundene Frauenleiche zu erfahren.
Hicks goss gerade Ketchup auf einen platt gedrückten Hamburger mit welkem Salat.
»Wie zum Teufel kannst du hier drin nur essen?«, fragte Karl und versuchte, den unappetitlichen Geruch der aufgebahrten Leichen zu verdrängen.
»Du hättest nicht kommen müssen. Das habe ich dir am Telefon gesagt. Ich hätte dir den verdammten Bericht ebenso gut bringen können, Karl«, sagte Hicks und führte den Hamburger zum Mund. »Sieht so aus, als hättest du es auf eine Auseinandersetzung mit Wilson abgesehen.«
»Ich will keine Auseinandersetzung, Tom, ich will Gerechtigkeit für Martina und Ivana.«
»Den Mörder von Ivana haben sie bereits gefasst, ihretwegen musst du keinen Kreuzzug mehr starten.«
»Vincent Harrison? Niemals. Die Bullen versuchen sich an der Quadratur des Kreises. Der Kerl ist unschuldig.«
»Wirklich? Ich glaube, wenn sich genügend Muster zeigen, kann man durchaus ein klares Bild daraus ableiten.«
»Was für Muster?«
»Zum Beispiel Harrisons zahlreiche Auftritte vor Gericht wegen Jugendstraftaten.«
»Zum Beispiel?«
»Na ja, mit fünfzehn wurde er wegen schwerer Körperverletzung an seiner damaligen Freundin angeklagt. Die Anklage wurde später fallen gelassen, als die Freundin ihre Geschichte widerrief. Danach musste er noch zwei Mal vor Gericht, und in beiden Fällen war Gewalt im Spiel. Diesmal waren die Opfer schwule Männer.«
»Verstehe«, sagte Karl, dem es missfiel, dass sein bester Freund ihn auf dem falschen Fuß erwischt hatte. »Also ist Harrison jetzt ein homophober Stalker?«
»Manchmal sind die Dinge klar, Karl. Mord ist nicht immer kompliziert.«
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, ob das da Martina ist«, sagte Karl und riskierte einen kurzen Blick zum Hauptraum. Auf den Bahren lagen nebeneinander zwei Tote unter Leichentüchern.
»Sie ist es definitiv. Die zahnärztlichen Unterlagen bestätigen es. Als der Leichnam gestern Abend hier eintraf, habe ich keine Zeit vergeudet und meine eigene Autopsie durchgeführt, was bis in die frühen Morgenstunden gedauert hat. Nieren und Leber fehlten, und wieder haben wir es mit unnatürlicher Proteinzufuhr und beschleunigtem Zellwachstum zu tun.«
»War das derselbe Dreckskerl?«
»Das scheint naheliegend, aber ich will keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Ich halte mir lieber alle Optionen offen. Natürlich muss ihre Schwester herkommen und die Leiche offiziell identifizieren.«
»Ich habe es Geraldine noch nicht gesagt, weil ich es bis jetzt nicht übers Herz gebracht habe. Was sagt man in so einer Situation? Ich fühle mich, als hätte ich sie im Stich gelassen.«
»Das spricht alles sehr für dich, aber ich habe dir immer gesagt, du sollst dich nicht emotional in die Fälle verstricken lassen, die du annimmst. Wenn du persönlich betroffen bist, kannst du nicht objektiv sein. Den Luxus kann ich mir nicht leisten; ich muss Distanz und Unabhängigkeit wahren.«
»Leichter gesagt als getan.«
»Tja, wenn es dir hilft, ich
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