Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
hatte. Aminat war älter, schöner, besser, gesünder. Aminat konnte auch ohne Sulfia zurechtkommen, sie hatte ja mich.
Die Sache war also klar. Ich überlegte, dass ich jetzt in Sulfias Wohnung ziehen könnte. Drei Zimmer für Aminat und mich, ohne Nachbarinnen und ohne einen Putzplan für die gemeinsam genutzten Räume – das war eine Aussicht, die mir Freude machte. Ich musste nur aufpassen, dass Klavdia sich meine beiden Zimmer nicht unter den Nagel riss. Wenigstens war ich sicher, dass sie der Hausverwaltung nicht melden würde, dass ich nicht mehr in der Kommunalwohnung lebte. Dann hätte man die Zimmer ruckzuck neu vergeben, und die neuen Nachbarn wären sicher nicht so nett, freundlich und hilfsbereit wie ich.
Sulfia sah immer schlechter aus (falls das überhaupt möglich war). Ich sagte ihr, sie solle mehr Vitamine essen. In Israel würde sie das brauchen. In der Wohnunglagen jetzt irgendwelche Bücher herum, die »Ulpan« hießen, und Broschüren wie »Willkommen, Neubürger«. Einmal traf ich Aminat mit einem solchen Buch in den Händen an. Ich wollte es ihr wegnehmen und sagte: »Das brauchst du nicht.«
Sie hielt das Buch fest, während ich von der anderen Seite daran zog. »Papa sagt, ich soll das schon mal lesen«, sagte sie. Sie nannte Rosenbaum jetzt plötzlich Papa. Das war wie früher, als sie noch klein war und ich sie davon abhalten musste, jeden fremden Mann auf der Straße Papa zu nennen.
»Das brauchst du nicht«, wiederholte ich und schaffte es, ihr das Buch zu entreißen. Dabei gab der Umschlag einen kläglichen Laut von sich. Ich legte das Buch möglichst weit oben ins Regal, damit sie nicht drankam.
Ich ging zu Rosenbaum, der gerade Nudeln vom Vortag in einer Pfanne warm machte, und fragte: »Habt ihr es Aminat schon gesagt?«
»Was?« Er sah mich freundlich durch seine dicken Brillengläser an.
»Das mit Israel.«
»Sicher.«
»Und warum soll sie diese bekloppten Bücher lesen?«
»Weil das eine gute Vorbereitung ist.«
»Aufs Hierbleiben?«
»Nein«, sagte er freundlich. »Aufs Auswandern.«
»Aminat wandert nicht aus«, stieß ich hervor. »Hast du das nicht mitgekriegt? Aminat bleibt hier, bei mir.«
Er wandte sich wieder der Pfanne zu und rührte emsig in den Nudeln herum. Bevor er mir antwortete, drehte er die Gasflamme herunter und wandte mir sein von der Hitze gerötetes Gesicht zu.
»Aminat kommt mit. Das war doch von Anfang an klar.«
»Aber Sulfia …«, keuchte ich. Es fühlte sich an, als hätte mich jemand mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. »Aber Sulfia!«
»Für Sulfia«, sagte Rosenbaum und verteilte die Nudeln auf vier Teller, »stand es nie infrage. Glauben Sie mir.«
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Arme Sau
Irgendwas in meinem Leben war schiefgelaufen. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass Sulfia mit einem Juden anbandelte. Das hatte ich jetzt davon. Jetzt war meine eigene Tochter durch ein hässliches pausbäckiges Kind untrennbar mit einer jüdischen Familie verbunden. Und die wollte abhauen, das wollten die immer, hatte ich auch nichts dagegen – aber was gab ihnen das Recht, mich zu zerstören? Wie stellten sie sich das eigentlich vor? Was sollte ich ohne Aminat tun? Hier in dieser Stadt, auf dieser Welt? Wenn Aminat aus meinem Leben verschwände, dann würde sie auch alle Farben und Klänge mitnehmen. Dann machte alles keinen Sinn mehr.
In Sulfias Wohnung wirbelte jetzt Rosenbaum herum, legte Sachen in Kisten und hängte Listen an die Wand, die er permanent ergänzte oder abhakte: »Sich noch treffen mit«, »Dringend besorgen«, »Fragen, ob haben wollen: Was/Wen«, »Papiere«. Er war sehr freundlich zu mir, und sein Blick hinter den dicken Brillengläsern war auf eine beleidigende Weise mitfühlend.
Ich fuhr zu Sulfias chirurgischer Klinik, um ungestört mit ihr zu reden.
Ich wartete vor dem Eingang auf sie, wie schon so oft. Arme, kranke Menschen standen herum, gegen die Mauer gelehnt, Verbände um Kopf, Bein oder Arm, Zigarette in der Hand. Sie taten mir nicht mehr leid – denn jetzt ging es mir viel schlechter als ihnen. Sie waren vielleicht verletzt, aber ihnen riss keiner bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust.
Als Sulfia herauskam, lief sie erst an mir vorbei: Sie hatte mich nicht gleich gesehen. Dann drehte sie sich noch mal um, sah mich erstaunt an und kehrte zurück. »Mutter, was machst du hier, um Gottes willen?«
»Ich muss mit dir reden«, krächzte ich.
»Dann komm doch mit zu uns.«
»Nein. Ich will mit dir allein reden. Ohne
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