Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
auf ihre neuen Unterkünfte viel länger warten. Sie hatten eben keine Rosalinda an ihrer Seite.
Ich fand es gar nicht schlecht, dass die neue Wohnung nicht zu groß war. Rosenbaum sollte nicht vorschnell auf die Idee kommen, dass er sich zu seinen Eltern verdrücken konnte, wenn irgendwas schieflief. Ich wusste, wenn ein Kind geboren wurde, kamen viele junge Väter auf solche Gedanken. Ich half den alten Rosenbaums sehr gern, ihren Kram wieder in Säcke und Kisten einzupacken.
Das neue Kind war ganz klar ein Rosenbaum, es hatte sogar eine Glatze wie der Vater. Es war ein schweres Mädchen mit einem großen Kopf. Sie wurde Jelena genannt. Lena. Dieses Kind war nicht mein Kind, es gehörte allen. Es war sehr hässlich.
»Ich hoffe, sie bessert sich bald«, sagte ich, nachdem ich sie zum ersten Mal gesehen hatte.
Alle stimmten zu außer Aminat, die mich wütend anschrie: »Wie kannst du so was Gemeines über meine Schwester sagen?« Ausgerechnet Aminat hatte dieses Kind sofort ins Herz geschlossen.
Sulfia und Rosenbaum wollten das Kinderbettchen ins Schlafzimmer stellen, wie es sich gehörte. Aber Aminat verlangte, dass ihre Schwester nachts bei ihr schlief. Da waren alle dagegen, ich an allererster Stelle: Wenn jemand seinen Schlaf brauchte, dann Aminat mit ihren knapp neun Jahren. Aber als Erstes gab Sulfia nach, schließlich auch Rosenbaum. Das Kinderbettchen wurde zu Aminat getragen.
Jetzt hatte meine Tochter Sulfia eine komplette Familie. Sie hatte einen Mann, der jeden Morgen einen anderen Brei kochen konnte, und Schwiegereltern, die sie vergötterten. Sie hatte eine große, hervorragende Tochter und eine kleine hässliche, dafür aber mit einem echten Vater. Sie hatte sogar eine Katze.
Um die kleine Lena kümmerte ich mich nicht. Ich hatte ja schon eine Enkelin, und für die Rosenbaums war Lena die erste.
Sie führten sich seltsam auf. Sie kamen ständig vorbei und schaukelten dieses glatzköpfige, glupschäugige Kind und sorgten dafür, dass der Kühlschrank und die Kochtöpfe immer gefüllt waren. Die alte Rosenbaum wusch Lenas Windeln, und der junge Rosenbaum bügelte sie von zwei Seiten.
Der alte Rosenbaum wurde langsam wieder etwas klarer im Kopf. Sulfia legte die kleine Lena in Aminats alten gelben Kinderwagen, deckte sie mit einem Kissen zu, und der alte Rosenbaum schob sie durch den Park. Wenn es mein Kind gewesen wäre, hätte ich es niemals mit einem hirngeschädigten Alten ziehen lassen. Sulfiaschien diese Bedenken zumindest im Ansatz zu teilen, denn wenn Rosenbaum mit Lena im Park unterwegs war, stand sie oft am Fenster und sah zu. Man konnte den Park aus dem neunten Stock gut überblicken.
Anders als Aminat war Lena vom ersten Tag an permanent krank. Sie hatte Bronchitis und Durchfall und Allergien gegen alles Mögliche.
Das waren wahrscheinlich die Rosenbaum-Gene.
Ich hatte schon oft bemerkt, dass Dinge, die ich mir wünschte, einfach in Erfüllung gingen. Ein Zeichen, dass Gott bei mir war. Gelegentlich schoss er über das Ziel hinaus, was wohl daran lag, dass ich meine Wünsche nicht präzise genug formuliert hatte.
Es war nämlich so, dass sehr viele Juden in diesen Jahren in ihre historische Heimat zurückkehrten. Jeder kannte welche, die nach Israel ausreisen wollten. Auch die Rosenbaums, zu denen inzwischen meine Tochter gehörte, begannen, sich auf die Flucht aus unserem Land vorzubereiten.
Ich erfuhr es eines Abends, als ich vorbeikam, um Aminats Hausaufgaben und Fingernägel zu kontrollieren. Sulfia saß in der Küche und weinte, und Rosenbaum lief hin und her und fuchtelte mit den Händen, als würde er einen Schwarm Mücken abwehren. Aminat spielte in ihrem Zimmer mit der kleinen verschnupften Lena.
»Was ist los?« fragte ich.
Sie wollten in drei Monaten ausreisen.
»Ja, ist doch nicht so schlimm«, sagte ich zu Sulfia. »Ist doch schön warm dort.«
Ich ging davon aus, dass Aminat bei mir bleiben würde. Was sollte sie dort ganz allein bei den ganzen Juden? Ich hatte gehört, dass es in Israel Sandstürme gab, und sie hatten nicht einmal richtige Buchstaben.
»Wir werden mal zu Besuch kommen«, sagte ich.
»Wer, wir?« fragte Sulfia und richtete ihre Kaninchenaugen auf mich.
»Aminat und ich.«
»Ah«, sagte Rosenbaum.
Sulfia bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und stöhnte.
Ich war bereit, Sulfia in die Ferne ziehen zu lassen mit ihrer neuen jüdischen Familie. Aber Aminats Ausreise kam nicht infrage. Aminat war mein Kind. Ich war froh, dass Sulfia jetzt Lena
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