Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
ihn.«
»Ohne wen?«
»Ohne ihn. Du sollst mit zu mir kommen.«
Wir fuhren mit dem Trolleybus zu mir. Sulfia sagte nichts. Sie hielt ihre Handtasche auf dem Schoß fest. Jetzt hatte sie endlich eine schöne Handtasche, wie eine richtige Frau. Aus braunem Leder mit einem goldenen Verschluss.
»Schöne Handtasche«, sagte ich, obwohl die Zeit für Nettigkeiten längst vorbei war.
Sulfia öffnete sie, nahm ihre kleine Geldbörse heraus, ein gefaltetes Stofftaschentuch und ihr Notizbuch – und gab die Handtasche mir. Jetzt war die Tasche ganz leer, ich sah sogar extra hinein, weil ich es nicht glauben konnte. Ich gab ihr die Tasche zurück. So billig sollte sie mir nicht davonkommen.
Es war schwer, die Tür aufzuschließen. Jede Bewegung verursachte ein dumpfes Echo in meinerSeele. Ich sah meiner Einsamkeit ins Gesicht, sie schnitt mir hässliche Grimassen.
Ohne Aminat war ich einsam und mein Leben war sinnlos. Ich erklärte das Sulfia. »Warum willst du mich umbringen?« fragte ich sie.
»Wir könnten versuchen, dich mitzunehmen«, sagte Sulfia und vermied es dabei, mir in die Augen zu sehen.
Ich bin kein Gepäckstück, wollte ich ausrufen, sagte aber nichts. Ich war weniger als ein Gepäckstück. Mich wollten die ja eigentlich, anders als ihr verdammtes Zeug, gar nicht dabeihaben.
»Was soll ich da, unter lauter Juden?« fragte ich. »Und was soll mein Mädchen dort?«
»Aminat ist mein Mädchen, Mutter«, sagte Sulfia.
Ich wusste einfach nicht, was ich jetzt noch tun konnte.
»Ohne Aminat gehe ich ein«, sagte ich. »Bitte lass Aminat da. Ich werde mich gut um sie kümmern. Ich flehe dich an. Du bist meine einzige Tochter.«
Sulfia stand langsam auf und strich ihr Kleid glatt. »Es tut mir leid, Mutter. Wirklich. Sehr.«
Ich sagte gar nichts mehr. Ich half ihnen packen. Ich kam vorbei und suchte mit Aminat die Spielsachen und Bücher aus, die sie mitnehmen wollte. Ich wollte sie nicht zu früh traurig machen.
Aminat hatte gute Laune. Sie fragte mich über Israel aus. Dann verstand ich, dass sie davon ausging, dass ich bald nachreisen würde. Das war sicher keine schlechte Idee von Sulfia. Aminat würde gern mitkommen, auf mich warten – und mich dann vergessen.
Eines Abends klopfte ich bei Klavdia an. Klavdia warinzwischen mehr breit als hoch. Seit der Männerstrom an meiner Haustür abgerissen war, war sie gleichzeitig frustriert und versöhnt. Sie war erstaunt, mich so zu sehen. Ich hatte mich verändert, seit ich wusste, dass ich Aminat verlieren würde. Ich war eine arme Sau geworden.
Ich hatte einen Plan, und Klavdia würde mir dabei helfen.
Ich erzählte ihr, dass Sulfia einen großen Vorrat Schlaftabletten nach Israel mitnehmen wollte, die seien dort so teuer.
»Will sie die dort weiterverkaufen?« fragte Klavdia geschäftig.
»Sicher. Wie viel kannst du beschaffen?« fragte ich.
Zwei Tage später hatte ich vierzehn Packungen irgendeines Präparats. Ich kannte mich mit so etwas nicht aus, ich hatte mein Leben lang keine Medikamente genommen. Klavdia hatte immer noch Biss. Wenn sie spürte, dass es irgendwo etwas zu verdienen gab, dann zögerte sie nicht. Sie fühlte mit mir – weniger wegen des bevorstehenden Abschieds, eher weil meine Tochter und meine Enkelin fortan unter Juden leben würden. Klavdia war hin- und hergerissen. Einerseits war sie der Meinung, dass jeder Jude, der das Land verließ, ein guter Jude war. Andererseits gönnte sie keinem von ihnen das sonnige Ausland. Eine Auswanderung in die mongolische Steppe hätte Klavdia für sie viel besser gefunden.
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Mein Abschied
Die Rosenbaums feierten an ihrem letzten Tag ein großes Abschiedsfest. Sie wollten bis zum Abflug feiern. Die Koffer und Kisten waren gepackt, ein Teil vorgeschickt. Die Wohnung war nahezu leer, bloß in der Mitte stand ein großer Tisch, zu dem jeder Gast eine Schüssel Salat oder einen Kuchen beigetragen hatte. Danach sollte ein Kollege von Rosenbaum, der ein Auto hatte, die Familie zum Flughafen bringen, in einem weiteren Auto würde das Gepäck transportiert werden. Keiner sprach es direkt aus, aber die Aufgabe, nach diesem Abschiedsfest aufzuräumen, fiel mir zu. Ich sagte nichts – das Aufräumen sollte nicht mehr mein Problem sein.
Aminat sang und tanzte und warf mit komischen Wörtern um sich, die sie aus ihrem »Ulpan« hatte. Ich saß still auf meinem Stuhl und sah zu, wie Sulfia von unzähligen Menschen, die ich noch nie im Leben gesehen hatte, umarmt wurde, wie die alte Rosenbaum
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