Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
zuzudecken, und riss alle Fenster auf: So sorgte sie für Frischluftzufuhr.
Der alte Rosenbaum dagegen hätte noch ein Jahr im Krankenhaus bleiben sollen, fand ich. Denn er war immer noch nicht richtig zu sich gekommen. Er trug einen Verband um den Kopf, der ihn wie eine Mumie aussehen ließ. Er kicherte überhaupt nicht mehr. Er saß die ganze Zeit am Fenster, dort, wo Sulfia nicht stehen durfte, weil es zog. Er schaute hinaus. Manchmal sprach er irgendwas, was ich nicht verstand, ich hielt es für Jiddisch. Die alte Rosenbaum sagte dann immer: »Pscht, Vater,du hast nur schlecht geträumt«, obwohl er überhaupt nicht schlief, sondern wach und aufrecht auf dem Stuhl saß.
Ab und zu kam Sulfia zu ihm und erneuerte seinen Verband und streichelte seine Hand. Sie sprach zärtlich zu ihm, und dann kicherte er manchmal wie in den alten Zeiten. In solchen Momenten sagte die alte Rosenbaum: »Mein Engel, lass den Alten und kümmer dich mehr um dich. Dem ist nicht mehr zu helfen.«
Ich war ganz ihrer Meinung.
Aber Sulfia wurde bockig. Eines Tages ging sie einfach raus. Ich war da gerade mal wieder unterwegs. Die alte Rosenbaum berichtete mir unter Tränen, wie sie versucht hatte, Sulfia am Verlassen der Wohnung zu hindern, und schließlich nachgeben musste – »Ich kann doch nicht mit ihr ringen. Wenn da noch was passiert!«. Sulfia kam bald zurück, und sie brachte ein Radio mit. Es blieb ihr Geheimnis, wo sie es herhatte, jedenfalls funktionierte es nicht. Sie stellte das Radio vor den alten Rosenbaum auf die Fensterbank und gab ihm einen Schraubenzieher. Rosenbaums Augen leuchteten auf.
Ich und die alte Rosenbaum, wir wünschten uns später oft, wir hätten Sulfia daran gehindert, dieses Radio anzuschleppen. Denn der alte Rosenbaum nahm den Schraubenzieher in die Hand und begann, am Gerät herumzudrehen. Nach einer Stunde war die Fensterbank übersät mit unzähligen Kleinteilen, Schrauben, Drähten und Platinen. Und als die alte Rosenbaum sich diesem Dreck mit einem Putzlappen näherte, schrie Rosenbaum heiser auf und fuchtelte mit den Armen. Er hatte was von einer Henne, die ihre Eier verteidigt.
»Lasst ihn«, bat Sulfia aus dem Schlafzimmer.
»Kommt nicht infrage!« schrie die alte Rosenbaum und versuchte es von der anderen Seite.Rosenbaum schob sie mit der Faust von sich.
»Jetzt wird er auch noch gewalttätig«, sagte die Rosenbaum weinerlich. »Leg dich wieder hin!« sagte sie zu Sulfia, die mit ihrem dicken Bauch in der Tür erschien.
»Lassen Sie ihn«, bat Sulfia. »Für mich.« Und legte sich die Hand auf den Bauch.
Die alte Rosenbaum war in einer Zwickmühle. Es war klar, dass Sulfia Rosenbaums Schrauberei damit zu ihrer persönlichen Angelegenheit erklärt hatte. Jeder Versuch, Rosenbaums Schweinerei zu beseitigen, war fortan wie ein Tritt gegen Sulfias Bauch anzusehen. Das verstand die alte Rosenbaum. Sie ließ die Hand mit dem Putzlappen hängen und sah ihren Mann hasserfüllt an. »Aber warum, Sonjalein?« fragte die Rosenbaum. »Guck mal, wie viel Dreck er macht. Das ist doch auch nicht gut fürs Kind.«
Aber die Angelegenheit war ein für alle Mal geklärt. Die Rosenbaum wischte mit ihrem Putzlappen woanders, und der alte Rosenbaum legte das Wohnzimmer mit Kleinteilen aus. Zwei Tage später aber waren die Teile alle verschwunden. Ich dachte schon, dass die Rosenbaum sich nicht an Sulfias Anweisung gehalten und alles weggeworfen hatte, in Wirklichkeit aber war das ganze Zeug wieder im Gehäuse verschwunden. Rosenbaum hatte das Radio zusammengeschraubt, schloss es an die Steckdose, und es begann, mit krächzender Stimme englisch zu sprechen. Sulfia klatschte in die Hände und küsste den Alten auf die Glatze. Am selben Tag brachte sie ihm ein neues altes Radio mit, und alles begann von vorn.
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Nicht mein Kind
Rosenbaums und Sulfias Tochter wurde gerade in dem Moment geboren, in dem ich es geschafft hatte, für die alten Rosenbaums eine neue Wohnung herauszuschlagen. Dafür hatte ich diverse Behörden abgeklappert, unzähligen Beamten die Bescheinigung über Rosenbaums folgenschwere Delle unter die Nase gehalten, kiloweise Schokolade aus Sulfias Vorräten verschenkt und schließlich Kalganow angerufen und von ihm verlangt, als Gewerkschaftsvorsitzender endlich seine Vater- und Großvaterpflicht zu tun. Heraus kam eine Einzimmerwohnung, die mit der früheren Altbaupracht der Rosenbaums wenig zu tun hatte, dafür aber ab sofort bezogen werden konnte. Andere Opfer der Explosion mussten
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