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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Lehrerin rief bei mir an und sagte, ich müsse dringend Medikamente für Sulfia besorgen. Das Medikament, das sie sonst einnahm, wurde nämlich in Russland von einem Tag auf den anderen nicht mehr hergestellt. Wir sollten es in Deutschland besorgen. Sie diktierte den Namen des Medikaments.
    Ich nahm es ernst. Ich rief noch mal bei ihnen an, und Sulfia ging ans Telefon. Sie klang matt und hatte keine Lust, über Medikamente zu reden. Sie sagte, das mit dem Medikament stimme zwar, doch es gebe einen Ersatz, den sie jetzt nehme, und deswegen sei alles in Ordnung. Ich solle mir keine Gedanken machen, ich hätte schon genug eigene Sorgen.

[Menü]
    Eine junge Frau
    Ich stellte fest, dass ich für Deutschland eine ziemlich junge Frau war. Es war, als hätte ich aufgehört zu altern. Zwar hatte ich mein wirkliches Alter nicht vergessen. In Russland wusste ich, dass ich zwar jung war, aber dass andere Frauen in meinem Alter das längst nicht mehr waren. Hier stellte ich fest: Die Frauen meines Alters waren wirklich jung, auch wenn sie schlechter aussahen als ich.
    Auch viel ältere Frauen waren noch jung. Der ersten Greisin, die mich mit ihrem violetten Haar auf dem Fahrrad überholt hatte, hatte ich lange hinterhergeschaut. Eine zweite hatte ich fotografiert, bei der dritten wurde ich nachdenklich. Dann kaufte ich mir ein gebrauchtes Fahrrad über eine Anzeige in der Zeitung.
    Ich saß zum ersten Mal auf dem Fahrrad. Das war nicht einfach. Aber was diese Oma konnte, das wollte ich auch können. Erst probierte ich es alleine. Das Fahrrad kippte um. Ich erinnerte mich daran, wie Kinder Rad fahren lernten. Sie hatten immer einen Erwachsenen, der sie anschob.
    Ich verpflichtete Dieter. Er hatte ja sonst nichts zu tun. Abends gingen wir zusammen auf einen leeren Supermarktparkplatz, und ich trat in die Pedale, während Dieter mein Fahrrad stützte. Am Anfang musste er sich sehr anstrengen, ich schrie ihn an, wenn das Fahrrad zur Seite zu kippen begann. Wir trainierten einige Wochen, und ich schwöre, Dieter bekam in dieser Zeit eine gesündere Gesichtsfarbe.
    Ich schaffte es schnell, das Gleichgewicht zu halten. Nach wenigen Wochen konnte ich einige Meter ohne Stütze fahren.Ich entband Dieter von seiner Pflicht, er hatte bereits angefangen anzudeuten, dass ich für ihn zu schwer war und er einen schwachen Rücken hatte. Jedenfalls übte ich allein weiter. Ich drehte meine Runden auf dem Parkplatz und bald auch auf den Bürgersteigen.
    Ich fuhr immer auf dem Bürgersteig, egal wie voll er war. Den Autofahrern vertraute ich nicht.
    Als Nächstes lernte ich nämlich Autofahren.
    Ich kannte ja schon einen Fahrlehrer, denjenigen, dessen Frau das Kind inzwischen zur Welt gebracht hatte und den ich nicht mehr zu Gesicht bekam, seit sie rund um die Uhr zu Hause saß und als beständiges Accessoire ein sauer riechendes Spucktuch auf der Schulter trug. Ihr Kind vertrug wohl die Milch nicht so gut, und das ganze Haus war jetzt voller Flecken.
    Am Abend ging ich in die Fahrschule. Das war für eine berufstätige Frau wie mich sehr praktisch, dass die Fahrschule abends aufhatte. Es gab hier in Deutschland viele Frauen, die nicht arbeiteten, und die Welt drehte sich um sie. Jedenfalls fand ich in der Fahrschule den Mann vor, dessen Frau mich fürs Saubermachen bezahlte, er füllte irgendwelche Zettel an einem Tisch aus. Als er mich sah, sagte er nur: »Ah! Und jetzt?«
    »Ich will Auto fahren«, sagte ich.
    »Schon mal probiert?« fragte er.
    »Nein«, sagte ich.
    Er holte eine Anmeldung hervor und begann sie auszufüllen. Ich kam näher und beugte mich zu ihm hinunter.
    »Zum Sonderpreis«, sagte ich vertrauensvoll in sein haariges Ohr.
    Wir sahen uns in die Augen. Ich war mir sicher, dass er mich nichtumbringen würde. In Deutschland kam man dafür ins Gefängnis. Er schob mir einen Zettel zum Unterschreiben hin und gab mir einige Broschüren. Zwei Tage später sollte ich zum theoretischen Unterricht erscheinen.
    So saß ich bald zwischen zehn Siebzehnjährigen auf einem Plastikstuhl und hörte mir die Vorfahrtsregeln an. Der Besitzer der Fahrschule stand vor einer Tafel und verschob Magnete in unterschiedlicher Farbe und kritzelte Pfeile dazu. Ich las die Regeln lieber in meinen Büchern nach, ich war mir nicht sicher, ob er mir das Richtige erzählte.
    Ich bestand die theoretische Prüfung mit wenigen Fehlern (Aminat hatte mich vorher mehrmals abfragen müssen), und dann hatte ich meine erste praktische Fahrstunde.
    Mein Fahrlehrer war

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