Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
Ich fragte nach Aminat Kalganowa. Keiner verstand diesen Namen, ich schrieb ihn auf und hielt mir den Bauch, um die Schmerzen zu demonstrieren. Eine Krankenschwester erklärte mir, Aminat sei in der Gynäkologie.
»Was?« fragte ich. Sie schrieb mir irgendwas auf den Zettel, es war der Name der Station und noch irgendein Name, vermutlich von einem Arzt.
Ich eilte mit dem Zettel über die Gänge. Es klopfte nur so in meinem Kopf. Ich war unglaublich wütend. Ich konnte eins und eins zusammenzählen. Ich ahnte, wie rot mein Kopf sein musste: Wenn ich einmal die Fassung verlor, dann neigte ich neuerdings auch zu hohem Blutdruck. Ich riss eine Glastür auf und lief über den Gang. In einer Nische, neben einem Aquarium, saß Dieter und las eine Zeitschrift mit bunten Rezepten.
»Du Schwein!« schrie ich, bevor ich ihm die Zeitschrift entriss, sie zusammenrollte und ihn damit ins Gesicht schlug. Mehr als das konnte ich auf Deutsch nicht sagen, also kehrte ich zu meiner Muttersprache zurück. »Wie wagst du es … Sie ist erst vierzehn … So war das nicht ausgemacht! Ich hab dir doch vertraut. Und du hast Sulfia immer noch nicht geheiratet.«
Dieter schirmte seinen Kopf mit den Händen ab. Aber bald warf ich die Zeitschrift weg und sah mich um auf der Suche nach etwas Festerem. Das Aquarium war zu groß und der Topf mit der Yuccapalme auch. Ich griff in den Topf, nahm mir eine Handvoll Hydrokultur und warf die Steinchen in Dieters Gesicht.
Ich legte erst eine Pause ein, als ich Schritte im Flur hörte. Außerdem packte mich Dieter an den Handgelenken, obwohl ich, wieder das Deutsche aufnehmend, »Lass mich los, du kinderfickendes Arschloch« schrie. Er ließ meine Gelenke los und hielt mir den Mund zu. Gleich zwei Krankenschwestern standen vor uns und sagten, wenn wir nicht sofort das Gebäude verließen, würden sie die Polizei rufen.
Ich setzte mich neben Dieter auf eine Bank im Schatten. Ich zündete mir eine Zigarette an. Wenn ich mich aufregte, rauchte ich gerne eine, aber nur sehr selten, weil ich die Frische meiner Gesichtsfarbe nicht verlieren wollte.
Dieter hatte keine Schuld. Aminat war nicht schwanger. Sie war Jungfrau. Genau das war das Problem – sie war eine eiserne Jungfrau, ein kleines medizinisches Wunder. Sie war in ein Alter gekommen, in dem sie die Plage aller Frauen ereilte. Doch Aminat war undurchlässig und musste auf dem Operationstisch mit Skalpell entjungfert werden. Der Arzt sagte, ihm sei dabei ein halber Liter Blut auf die Hose geschwappt. Das war das, was man vor der ersten Operation noch für eine Blinddarmentzündung gehalten hatte: der harte Bauch und die Schmerzen und die ganze Suppe in der Bauchhöhle, die sich entzündet hatte. Man hatte Aminat also um die entscheidende Öffnung bereichert und ihr danach den Bauch von innen sauber gemacht.
Ich hatte ja schon lange gewusst, dass mit Aminat irgendetwas nicht in Ordnung war. Auf so eine Erklärung war ich aber nicht gekommen. Wer denkt sich auch so was aus. Ein Skalpell war mir aber viel lieber als Dieter, sauberer sowieso.
Mir gefiel der Arzt, der Aminat operiert hatte. Er trug Jeans zu seinem weißen Kittel und hatte graues Haar und ein jungenhaftes Lächeln. Wenn er auf Visite reinkam, scherzte er mit jedem.
Aminat scherzte nicht mit, sie lag da mit dem Gesicht einer baldigen Amokläuferin. Ich schämte mich ein bisschen für sie, weil sie so ungesellig war. Gut, die Umgebung war vielleicht ein bisschen viel für ein junges Mädchen. Aminats traumhafte Zeugung fiel mirwieder ein, und ich fragte mich, wie das alles zusammenhing. Ich fragte den grauhaarigen Arzt, ob sie Kinder haben könnte, und der Arzt antwortete: »Jede Menge«, und Aminat sagte: »Ich kotz gleich.«
Im Flur nahm ich den Arzt am Ärmel seines Kittels und berichtete ihm, wie Aminat auf die Welt gekommen war. Der Arzt hörte mir mit gerunzelter Stirn zu. Es war das erste Mal, dass ich Fremden gegenüber so tief in der Familiengeschichte grub. Der Arzt sagte: »Machen Sie sich keine Sorgen, sie ist gesund«, und dann sagte er noch, ich solle auf ihn warten, er wolle mir etwas geben. Ich wartete im Flur, während er wegging und wieder zurückkam, und dann reichte er mir feierlich ein Faltblatt einer Organisation namens Familienbildungsstätte.
Ich sagte Sulfia nicht, dass Aminat operiert worden war. Aminat sah ein, dass es ihre Mutter nur unnötig beunruhigt hätte. Sulfia ging es auch ohne schlechte Nachrichten aus Deutschland nicht sehr gut. Kalganows
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