Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
Sehnsucht nach uns gehabt. Ich konnte nicht zu ihr, weil ich Aminat nicht mit Dieter allein lassen wollte, und ich konnte nicht mit Aminat hin, weil ich sie nicht aus dem Eingewöhnungsprozess, in dem sie mir so hinterherhinkte, rausreißen wollte. Jetzt stand Sulfia vor mir, mit einem Koffer, mit dem ich sie damals zur Abreise ausgestattet hatte. Er hatte Rollen, aber sie konnte ihn trotzdem kaum ziehen. Ihr Gesicht war aufgedunsen, die Haut teigig, und unter den Augen lagen tiefe Schatten.
Ich sah Sulfia an und spürte einen heftigen Hass auf Kalganow.
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Der dritte Ehemann
Sulfia wollte zwei Wochen bleiben. Sie sagte, mehr ginge nicht, sie könne Kalganow und seine Lehrerin für Russisch und Literatur nicht im Stich lassen. Sie hatte aber alle notwendigen Unterlagen für die Hochzeit dabei. Sie fiel Dieter um den Hals, streichelte seine Wangen und rief, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Aminat fiel ihr ebenfalls um den Hals und blieb eine Weile so hängen, bis ich sie ermahnte. Auch ein Blinder konnte sehen, wie müde Sulfia war. Sie hielt sich kaum auf den Beinen.
Ich hatte gekocht, Hähnchen, Kartoffeln und Gemüse, dazu Salat, zum Nachtisch Torte. Sulfia aß wenig. Sie lächelte die ganze Zeit, aber ich fand ihr Lächeln kläglich.
Ich wollte, dass Sulfia erstens heiratete, zweitens sich ein wenig erholte. Sie hatte ja so lange keinen Urlaub mehr gehabt. Ich gab ihr meine ganzen Vitamine. Sulfia sagte zu allem Danke. Aber sie war sehr matt. Selbst ihre eigene Hochzeit interessierte sie wenig. Sie legte sich oft hin. Und plötzlich sagte sie zu mir, dass sie Dieter nicht heiraten wollte, weil sie keine gute Ehefrau sein könnte.
»Du spinnst wohl«, sagte ich. »Du bist die beste Ehefrau von allen.«
Sie blinzelte nur.
Zwei Tage vor ihrer Heimreise war der Termin beim Standesamt.
Vorher hatte ich ein bisschen in Sulfias Koffer rumgewühlt. Er war sehr unordentlich gepackt, ich hatte die Sachen rausgenommen, gewaschen, gebügelt und schön gefaltet. Bei der Gelegenheit hatte ich auch einen Kosmetikbeutel gefunden, in dem Sulfia ihre Medikamente aufbewahrte. Es war mindestens ein halbes Kilo eines bestimmten Präparats und ein paar andere auch. Ich notierte mir, was auf den Packungen stand. Damit ging ich zu einem meiner Kunden, der Internist war, und zeigte ihm, was Sulfia einnahm.
Mein Kunde, ein ziemlich gut aussehender Mann mit einem Ziegenbärtchen, das ihn jünger als seine 55 Jahre aussehen ließ (Ich hatte oft in seinem heimischen Büro aufgeräumt und wusste, wann er Geburtstag hatte), schüttelte den Kopf und sagte, eine solche Medikation sei fahrlässig. Sie könne das ursprüngliche Medikament, das in Russland nicht mehr hergestellt wurde, nicht ersetzen. Da sei es kein Wunder, wenn Sulfia so schlaff sei.
»Ich brauche das richtige Medikament!« sagte ich. »Gibt’s das in Deutschland?«
In Deutschland gab es ja bekanntlich alles. Mein Kunde stellte mir ein Rezept für eine Jahresdosis aus. Ich nahm seine Hand und küsste sie. Ich war so glücklich über meine Arbeit, die mich mit solchen Menschen zusammenführte.
Dann sagte er noch, dass es gut wäre, Sulfia gründlich zu untersuchen. Ich fragte ihn, ob er das machen könnte. Er fragte nach ihrer Krankenversicherung. Ich fragte, ob sie vielleicht einfach so in seine Praxis kommen könnte. Abrechnen könnten wir ja später immer noch, und er sollte sie sich einfach angucken. Der Mann zog an seinem Ziegenbärtchen. Das mit dem Handkuss war voreilig, dachte ich. Ich bat Gott um Hilfe. Es wirkte: Der Mann gab mir seine Visitenkarte und sagte, ich soll mir in der Praxis einen Termin geben lassen.
Die Jahresdosis des Medikaments kostete mehr als der Führerschein und der Flug zusammen. Sie musste in der Apotheke vorbestellt werden. Ich war sehr glücklich über meine Arbeit, bei der ich so viel Geld verdient hatte. Ich leerte meine ganzen Umschläge. Egal, ich konnte ja noch viel mehr verdienen, denn im Gegensatz zu Sulfia war ich gesund.
»Das hättest du nicht machen sollen, Mutter«, sagte Sulfia. Aber sie fing sofort an, diese Tabletten zu nehmen, und sagte, damit ginge es ihr schon viel besser.
Was sie nicht machen wollte: zum Arzt gehen. Sie sagte, sie hätte keine Zeit und ihre Reiseversicherung würde nur Notfälle abdecken.
»Guck dich an, du bist ein wandernder Notfall«, sagte ich.Aber sie war stur wie zehn Maulesel. Ich schaffte es nicht, sie zu zwingen, zum Arzt zu gehen. Ich hätte es tun sollen, aber es gelang mir
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