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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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einfach nicht. Es war schon schwierig genug, sie zur Heirat zu bewegen. Hier argumentierte ich mit Aminat. Aminat sollte doch in Deutschland bleiben, und das hatte alles seinen Preis.
    Für die Hochzeit wollte ich mit Sulfia einkaufen gehen. Aber sie sagte, sie würde es nicht schaffen. Sie lag viel auf der Couch und atmete schwer. Ich sah sie an und fragte mich, wie sie es dann zu Hause schaffte, einen Bettlägerigen zu pflegen. Ich hatte große Lust, nach Russland zu fliegen und Kalganow ein Kissen aufs Gesicht zu drücken, denn vorher, das ahnte ich, würde Sulfia nicht zur Ruhe kommen.
    Ich ging in eine Secondhand-Boutique und kaufte für Sulfia einen cremefarbenen Seidenanzug. Es war ein hochwertiges und edles Kleidungsstück. Für mich selber kaufte ich nichts. Ich wollte mein rotes, sehr effektvolles Kleid anziehen, das meine hervorragenden Beine zeigte.
    Die Trauung war für zehn Uhr angesetzt. Wir standen um sieben Uhr auf. Ich kämmte Sulfia die Haare und steckte sie hoch, trug Make up auf ihre fahle Haut auf, etwas Rouge auf ihre Wangenknochen. So sah sie etwas lebendiger aus. Ich tuschte ihre Wimpern.
    »Du bist schön, Mama«, sagte Aminat.
    Sulfia lächelte.
    Dieter zog einen grauen Anzug an, den er wahrscheinlich von seinem Großvater geerbt hatte. Wir liefen zu Fuß zum Rathaus in dem kleinen Dorf, in dem Dieter immer noch wohnte und wir gezwungenermaßen auch. Es war eine kleine Hochzeit. Wir waren zu viert, und es dauerte zehn Minuten.
    Danach gingen wir ins Eiscafé. Aminat aß einen großen Eisbecher mit Erdbeeren, alle anderen tranken Kaffee.
    Ich war stolz auf mich. Meine Tochter Sulfia, einmal das hässlichste Mädchen der Straße, hatte ihren dritten Ehemann.
    Zwei Tage später brachte ich Sulfia, Ehefrau eines Deutschen, mit Dieters Auto zum Flughafen. Sie wirkte sehr traurig. Sie sagte, seit sie die Medikamente von mir hätte, ginge es ihr viel besser. Ich umarmte und küsste sie, fast ohne Widerwillen.
    »Na, Strohwitwer«, sagte ich zu Dieter, als ich vom Flughafen nach Hause kam. Aminat lag auf dem Bett und drückte ihr Gesicht ins Kissen. Ich fragte mich, wofür sie Sulfia so liebte. Sie konnte doch alles von mir haben.
    Dieter setzte sich zu Aminat und legte ihr die Hand auf den Kopf. Ich beobachtete das aus dem Flur. Ich wollte sichergehen, dass er nicht vergaß, wen er geheiratet hatte.
    Ich arbeitete wieder wie ein Tier. Ich hatte ein Ziel. Nur ein Blinder hätte übersehen können, wie krank Sulfia war. Ich brauchte Geld für ihre Behandlung.
    Ich hatte die Adresse eines neuen Kunden. Er hatte einen sehr schönen Namen: John Taylor. Dieters Namen fand ich nicht mehr schön. Ein gewöhnlicher deutscher Name. Manchmal dachte ich sogar, ich hätte das mit Sulfias Hochzeit nicht so überstürzen sollen.

[Menü]
    Tutyrgan tavyk
    John Taylor war nur zehn Jahre älter als ich, aber ein alter Mann. Witwer. Seine Frau war gerade gestorben. Das war ein Problem für ihn. Seine Tochter hatte mich angeheuert, weil er nichts mehr machen konnte. Aber nicht etwa körperlich, da war er noch kräftig. Er war psychisch nicht in der Lage dazu.
    Er war Englischlehrer und gerade krankgeschrieben, weil er Depressionen hatte. Ich interessierte mich für ihn, weil er Engländer war und einen schönen Namen hatte.
    Er war ein gebildeter Mann und hatte viele Bücher. Regale vom Boden bis zur Decke, und viele Bücher waren nicht mehr neu. Die Buchrücken waren staubig. Da wäre ich auch depressiv geworden. Ich fing sofort mit dem Abstauben an. John sagte nur: »Seien Sie vorsichtig mit den Büchern. Ich liebe sie.«
    Er hatte so einen schönen Akzent. War ein bisschen schwer zu verstehen. Ich fragte: »Wen lieben Sie, mich?«
    Er sah mich mit einem schweren Blick an und sagte: »Noch nicht.«
    Ich sah nicht viel von ihm, während ich aufräumte. Er war meistens in seinem Schlafzimmer. Die Tochter sagte, er sei menschenscheu. Oh ja, das bin ich auch, dachte ich. Man sieht es mir bloß nicht so an. Ich kam zweimal die Woche für jeweils vier Stunden. Das Haus war vernachlässigt. Johns Tochter sagte, ich sei Gold wert. Das wusste ich natürlich selbst.
    Erst machte ich einfach nur sauber. Arbeit war genug da. Johns Frau war lange krank gewesen. Ich war neugierig, wie sie ausgesehen hatte, aber nirgends waren Fotos.Johns Tochter sagte, sie hätten alles weggeräumt, weil es John davon noch schlechter ging.
    Eines Tages kam John heraus aus seinem Schlafzimmer. Er fragte mich, ob es mich stören würde, wenn er

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