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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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umhüllte die Urne mit einem Wollschal und steckte sie in eine Tragetasche. Die wollte ich ins Handgepäck nehmen. Ich wollte nach Hause, zu Aminat. Ich sortierte die Unterlagen: meinen Pass, Sulfias Todesurkunde, die Geldscheine in einem Umschlag. Ich hatte viel Geld mitgenommen, mehr, als ich verbraucht hatte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sulfias Freunde Geld einsammeln würden, so viel, dass davon die Trauerfeier bezahlt werden konnte.Ich fragte mich, warum die Leute so etwas taten. Schließlich war Sulfia tot, und mich kannten sie nicht, und es gab keinerlei Grund, sich bei Kalganow einzuschleimen. Er war inzwischen bedeutungslos.
    Der einzige mögliche Grund war – Sulfia war nicht tot. Andere konnten vielleicht sterben, aber sie nicht. Ich wurde mir dessen immer sicherer.
    Ich nahm die Geldscheine aus dem Umschlag. 20 Hundertmarkscheine, die ich mitgenommen hatte. Ein Vermögen. Ich nahm die Scheine wie einen Fächer in die Hand. Sie waren neu und dufteten gut. Ich ging in die Küche. Kalganow und die Lehrerin saßen sich gegenüber und schwiegen. Sie freuten sich komischerweise überhaupt nicht, dass ich wieder abreiste. Sie drehten ihre Gesichter zu mir, zwei Mienen, die sich in ihrer Hoffnungslosigkeit immer ähnlicher wurden. Ich legte die Scheine zwischen sie auf den Küchentisch und ging, diesmal für immer.
    Es gab keine Komplikationen. Am Flughafen interessierte sich niemand für die Tragetasche. Man winkte mich überall durch.
    »Siehst du, Sulfia«, sagte ich. »Und du hattest dir schon Sorgen gemacht.« Obwohl das nicht stimmte – Sulfia hatte sich keine Sorgen um den korrekten Transport der Urne gemacht. Sie stand neben mir und lächelte, warum war mir noch nie aufgefallen, wie schön ihr Lächeln war?
    Zu meinem großen Erstaunen holte mich Dieter am Flughafen ab. Aminat stand neben ihm, und darauf war ich nicht vorbereitet. Sie hatte abgenommen. Bevor ich sie erkannte, dachte ich sogar: »Was für ein hübsches Mädchen. Könnte eine Tatarin sein.«
    Dieter umarmte mich kurz. Aminat hielt Abstand.
    »Was ist?« fragte sie mich, als wir in Dieters Auto saßen.
    »Alles ist gut«, sagte ich zu ihr.
    Zu Hause holte ich die Kiste mit den Briefen aus dem Koffer und gab sie ihr. Ich war mir nicht sicher, wie sie reagieren würde. Aber sie riss mir die Kiste aus den Händen und öffnete den Deckel: »Hast du sie etwa gelesen??«
    »Ich hatte Besseres zu tun!« schrie ich zurück, und sie drehte sich um und ging in ihr Zimmer.
    Am Abend, als Aminat im Bett lag, holte ich zwei Gläser und eine Flasche Wodka. Ich setzte mich neben Dieter, er nahm die Flasche in die Hand.
    »Wie viel soll ich einschenken?« fragte er.
    »Siehst du den Rand nicht?« fragte ich, nahm ihm die Flasche weg und füllte die Gläser.
    »Los!« sagte ich. »Nicht anstoßen.«
    Er nippte kurz und verzog das Gesicht.
    »Du musst es runterkippen«, sagte ich. »Bist du jetzt Witwer oder was?«
    Nach einer halben Stunde weinte er bitterlich. Ich verstand nicht, was er plötzlich hatte. Es brach nur so aus ihm heraus. Er war blass und faltig. Er war zu wenig an der frischen Luft und machte keinen Sport.
    Ich wollte gern über Sulfia reden. Ich war sicher – er wollte das Gleiche. Vielleicht war er gerade dabei zu begreifen, wie wichtig sie für ihn gewesen war. Er versuchte mir etwas zu sagen, aber ich kam mit seiner Artikulation nicht klar.
    »Warte«, sagte ich und ging in mein Zimmer. Die Tragetasche stand auf meinem Kissen. Ich griff hinein und holte die Urne hervor, schwer, wunderschön. Ich trug sie in die Küche und stellte sie auf den Tisch zwischen uns. Zwinkerte Sulfia zu und hob mein Glas.
    »Nicht anstoßen!« sagte ich, ich hatte vergessen, dass ich es schon mal gesagt hatte.
    Dieter legte die Stirn in senkrechte Falten und las die goldene Aufschrift. Dann verschüttete er den Wodka.
    »Was ist das?«
    Er fuhr mit dem Stuhl einen Meter zurück.
    »Ist sie da drin?«
    Ich warf den Kopf zurück, weil mich der Anblick der weißen Decke beim Nachdenken bestärkte.
    »Teilweise«, sagte ich.
    »Tu sie weg«, sagte Dieter. »Das kannst du doch nicht ins Haus bringen! Wie soll ich heute Nacht hier schlafen?«
    »Liegend«, sagte ich. Jetzt widerte er mich an. Hysterische Männer waren eine Strafe Gottes.
    »Das ist doch … Das kann man doch nicht hierbehalten!«, rief er. »Bring’s in den Keller.«
    Ich nahm die Urne fest in meine Arme, ich hatte das Gefühl, sie vor ihm schützen zu müssen.
    »Tu sie weg«, bettelte

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