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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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er.
    »Das ist die Urne mit der Asche deiner Frau!« schrie ich.
    »Das macht’s nicht besser!« brüllte er zurück.
    Ich nahm die Urne unter den Arm und drängte mich an ihm vorbei. Er wich zwar zurück, aber in die falsche Richtung, sodass ich ihn kurz mit einer Kante der Urne am Bauch berührte. Eine Sekunde lang überlegte ich, ob ich ihm einen festen, seinen Verstand klärenden Schlag versetzen sollte. Aber Sulfia legte mir ihre kühle Hand auf die Schulter.
    »Keine Sorge, Liebling«, sagte ich. »Nicht, solange du hier bist.«
    Dieter sah mich entsetzt an.
    »Ich mein nicht dich«, sagte ich. »Krepier doch.«
    Ich ging in mein Zimmer, stellte die Urne auf meinen Nachttisch und schlief fest ein.
    Das Nächste, was ich von Aminat mitkriegte, war Brandgeruch. Ich brachte Dinge durcheinander: Ich dachte an die Asche, die angeblich in der Urne war, falls man mich im Krematorium nicht beschissen hatte. Ich sah ein Bild von Sulfia, die lachend in Flammen stand, und bevor ich aufwachte, dachte ich noch, das Feuer steht ihr aber gut. Dann wachte ich endgültig auf und rannte den Rauchschwaden entgegen. Sie kamen aus der Küche. Aminat verbrannte eine Menge Papier im Spülbecken.
    »Ja, bist du denn verrückt geworden?« schrie ich.
    Ich griff über ihre Schulter und hob eine lodernde Ecke hervor, an der eine Briefmarke klebte. Aminat verbrannte ihre Briefe, die ich aus Russland mitgebracht hatte. Ich drehte den Wasserhahn auf, sie drehte ihn wieder zu.
    »Das darfst du nicht tun!« rief ich. »Du musst sie doch aufbewahren! Was ist, wenn du mal berühmt wirst?« Wir hatten lange nicht mehr darüber gesprochen, dass sie mal berühmt werden sollte oder wenigstens erfolgreich oder mindestens sehr reich.
    »Ich will aber nicht«, sagte sie.
    »Dann werd halt Ärztin«, sagte ich.
    »Warum immer ich?« fragte sie.
    »Sulfia fände das schön«, sagte ich.
    Aminat sah ins Waschbecken. Es war ein wenig Wasser reingelaufen, und die Papierfetzen schwammen zwischen Aschehäufchen hin und her.
    »Ich räum’s für dich auf«, sagte ich. »Geh du in dein Zimmer und denk nach.«
    »Worüber?« fragte sie.
    »Darüber, wie du dich bessern kannst. Damit Sulfia zufrieden mit dir ist.«
    Ich fühlte mich für den Bruchteil einer Sekunde unwohl unter ihrem Blick. Doch dann zog sie davon, und ich atmete erleichtert auf.

[Menü]
    Mit Sulfias Stimme
    Die erste Zeit war ich sehr beschäftigt. Ich rief bei der Friedhofsverwaltung an und beantragte einen Platz für die Urne. Ich rief bei Steinmetzen an, die Gräber gestalteten. Sulfia sollte anständig beigesetzt werden und einen hübschen Grabstein bekommen. Ich nahm einen Stift zur Hand und skizzierte, wie ich alles haben wollte. Mir ging es nicht ums Geld, aber ich ließ mir trotzdem Kostenvoranschläge schicken. Wenn es mir zu lange dauerte, rief ich an und sagte, dass es sich hier nicht um irgendeinen Auftrag handelte und dass Gott alles sah.
    Wenn ich mich zu sehr aufregte und laut wurde, spürte ich Sulfias kühle Hand auf meiner Schulter. Ich merkte, dass mein Geschrei sie störte, und wurde ruhiger. Sulfia mochte Stille, und ich tat alles, damit sie sich wohlfühlte.
    Es gelang mir nicht, die Urne zu bestatten. Die Stümper, die Gräber gestalteten, kapierten einfach nicht, wie ich es haben wollte. Auch für viele Tausend Euro nicht. Ich hatte das Gefühl, sie wollten mich nicht verstehen. Es war das erste Mal, dass ich an irgendetwas scheiterte, und Sulfia sagte, es sei doch egal.
    Ich gab ihr recht – die Urne war hübsch und handlich, sie brauchte kein Grab. Ich ließ sie auf dem Nachttisch stehen, daneben einen Strauß weißer Rosen, den ich alle paar Tage erneuerte. Dieter wiederholte nervös, dass es gesetzlich verboten war, und ich sagte ihm, er könne sich seine Gesetze sonst wo hinschieben.
    Ich arbeitete weiter. Ich musste meine Enkelin aufziehen. Sie war jetzt Vollwaise, und ich musste ihr Vater und Mutter ersetzen. Nicht, dass mir das neu gewesen wäre. Aber etwas hatte sich verändert. Früher hatte ich immer für mich gesprochen – jetzt wirkte ich in Sulfias Auftrag.
    Ich sprach mit Sulfias Stimme. Und, was noch ungewöhnlicher war: Ich sprach mit Sulfias Tonfall. Als Aminat eines Tages nicht aufstehen wollte, obwohl sie in die Schule musste, sagte ich nicht: »So wirst du aber in der Gosse enden! Deine deutschen Mitschüler sind alle längst aufgestanden!« Sondern ich sagte: »Ja, bleib im Bett, mein Kind.« Ich sprach diesen Satz aus und biss mir auf die

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