Die Schafgäääng: Lamm über Bord! (German Edition)
Billabong.
Sally saß zusammengequetscht auf einem schicken Koffer und stimmte fröhlich eine Strophe aus der Ballade vom Vlies an:
»Die Schöne wird verschleppt in den finstersten
hohen Turm weit und breit,
bewacht von kriechenden Drachen
mit spitzen Zähnen, zum Kampf bereit …«
»Drachenmäßiger als das Biest da eben kann es nicht mehr werden«, stellte Linx fest.
»Und hast du gesehen, wer als Erstes versuchte, sich ihm in den Weg zu stellen?«, fragte Sally bohrend. »Wer als Erstes versucht hat, uns zu retten?«
»Unsere Feedingsda«, riefen alle gehorsam im Chor.
»Ganz recht«, bekräftigte Sally mit glänzenden Augen. »Und jetzt bringt sie uns zu dem finsteren Turm. Und wir werden dem letzten Donnerschlag trotzen!«
Die Krieger nickten pflichtbewusst. Alle außer Oxo, der gedankenverloren auf einer Klopapierrolle herumkaute.
Während die Schafe sich noch mit dem kriechenden Drachen herumschlugen, waren Todd und Ida wieder in der Schutzstation eingetroffen, hatten das durchtrennte Telefonkabel entdeckt und bemerkt, dass Nat verschwunden war. Ein paar Minuten standen sie einfach nur in Franks Küche und fühlten sich sehr allein und verwundbar. In Barton’s Billabong gab es keinen Handyempfang, nichts als die stille, leere Weite und sie beide und die Tiere der Schutzstation. Und Mr Grusich.
»Ob im Büro ein Telefon steht?«, fragte Todd unvermittelt. Ida wusste es nicht.
»Dann sollten wir es wohl herausfinden.« Er ließ das Ende des Telefonkabels fallen, das er in der Hand gehalten hatte. »Das Kabel hat sich nicht selbst durchgeschnitten. Ich gehe rüber und spreche mit Mr Grusich.«
»Du gehst nicht ohne mich«, erklärte Ida mit Nachdruck. »Ich habe meinen Bruder verloren und meine schöne Schafherde. Dich will ich nicht auch noch verlieren.«
»Das wirst du nicht, Oma«, beruhigte sie Todd. »Aber wir müssen schnell Hilfe rufen.«
Er warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu und flitzte über den Hof davon.
»Sei vorsichtig, Todd!«, rief Ida ihm nach. »Ich traue diesem Grusich nicht!«
Sie raffte ihren Rock und lief ihm nach, so schnell ihre alten Beine sie trugen.
Als Todd die Seilbrücke erreichte, blieb er verdutzt stehen. Die Tür des Jungfernturms stand sperrangelweit offen. Todd sah sich um, dann rannte er leichtfüßig über die Brücke.
»Mr Grusich?«, rief er durch die offene Tür. Keine Antwort.
Todd betrat vorsichtig den Turm. Er blinzelte, als er vom grellen Sonnenlicht in die Dunkelheit trat. Und plötzlich umgab ihn tatsächlich völlige Dunkelheit, denn ihm wurde ein Kissenbezug über den Kopf gestülpt.
Es war ein großer Kissenbezug von der Sorte, wie sie als Beutel für die Joeys diente. Nicht nur Todds Kopf, sondern auch seine Arme verschwanden darunter, und obwohl er sich schlagend und tretend hin- und herwand, gelang es ihm nicht, sich zu befreien.
Eine kräftige Faust stieß ihm in den Rücken und er stolperte vorwärts. Er hörte, wie ein Schlüssel in einem Schloss umgedreht wurde, dann erhielt er einen weiteren Stoß und stürzte kopfüber ins Leere, bevor er schmerzhaft über Steinstufen purzelte und mit einem Platschen im kalten Wasser landete. Er sank wie ein Stein.
Ida wackelte gerade unsicher über die Seilbrücke, als im Inneren des Turms eine Tür zufiel.
»Todd!«, rief sie. »Warte auf mich …« Sie hatte nicht sehen können, wohin Todd verschwunden war. Sie trat in den Turm und schon wurde auch ihr ein Kissenbezug über den Kopf gestülpt.
»Rühr dich nicht! Und keinen Mucks!«, flüsterte eine Stimme in ihr Ohr. Einen Augenblick später stieß sie sich den Fuß an der untersten Stufe der Wendeltreppe.
»Heb die Füße …«, befahl die Stimme. »Es geht nach oben.«
Ida schürfte sich die Ellbogen und Schienbeine an den rauen Steinwänden und -stufen auf, während sie jemand weiterdrängte. Schließlich beugte sich ihr Kidnapper neben ihr vor und schloss eine Tür auf. Er schubste sie hinein, schlug die Tür hinter ihr zu und drehte den Schlüssel wieder um.
Draußen vor der Tür holte Nat tief Luft. Langsam ging er ein Stockwerk tiefer und spähte aus dem Fenster. Die Dinge verliefen nicht ganz nach Plan. Er trommelte mit den Fingern auf den Fenstersims, während er hinausstarrte. Wo steckte sie bloß?
Tief unten im Verlies wälzte sich Todd im kalten Wasser hektisch hin und her und versuchte verzweifelt, sich aus dem Kissenbezug zu befreien. Der klatschnasse Stoff klebte an seinem Gesicht, das Wasser drang in seinen Mund.
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