Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
ist …«
»Das weiß ich als Mutter ja wohl besser als jeder andere! Und ich sage Ihnen, der kann das! Alleine! Der braucht keine Hilfe! Bei gar nichts! Und wenn hier irgendwer was anderes sagt, dann soll der mal zu mir kommen! Dann erzähl ich dem aber was!«
»Ich verstehe, dass Sie …«
»Das muss man sich mal vorstellen! Nur weil irgendwelche Leute meinen, sie müssten sich überall einmischen, sitzen Sie jetzt hier und stellen lauter komische Fragen! Das glaub ich alles nicht!«
»Frau Dickmann …«
»Wie würden Sie sich denn fühlen an meiner Stelle?! Dass der Richter da überhaupt so jemanden wie Sie schickt. Bloß weil jemand behauptet …«
Frau Dickmanns Telefon klingelte.
Meine Chance.
Jetzt konnte ich zwar nach wie vor nicht mit ihr reden, aber es könnte möglich sein, endlich ein paar Worte mit »Mischael« zu sprechen, um den es ja eigentlich ging.
Frau Dickmann bellte ein » DICKMANN HIIIER !« in ihr Telefon, ging Richtung Tür, drehte aber im Türrahmen wieder um, kam zurück an den Tisch und nahm »Mischael« an der Hand mit in den Garten, um dort zu telefonieren.
»Garten« war im Grunde nicht ganz die korrekte Bezeichnung für das, was sich da vor der Terrassentür befand. Also, zumindest dann nicht, wenn man unter »Garten« eine Fläche mit Rasen und ein paar Pflanzen versteht. Die Terrasse ging nahtlos in … nun ja, in eine weitere Terrasse über, die sich nur insofern von der eigentlichen unterschied, als ihr Boden mit größeren Steinplatten belegt war. Einige der Platten waren weiß und stellten eine Art Weg dar. Auf den übrigen Platten stand jeweils in der Mitte entweder ein Gartenzwerg, ein Windrad aus buntem Plastik oder eine künstliche Pflanze. Die Farben der Pflanzen bewegten sich ausnahmslos zwischen fast weißem Hellgrün, fast weißem Rosa und fast weißem Hellblau. Offenbar standen sie nicht im ersten Sommer draußen.
Da stand nun also Frau Dickmann mit ihrem »Mischael« in der einen und dem Telefon in der anderen Hand inmitten unzähliger Gartenzwerge, künstlicher Pflanzen und ratternder Windräder, die sich tatsächlich nicht nur am Boden, sondern auch ringsum am Gartenzaun befanden. Hier war tatsächlich so ziemlich alles zu sehen, was es an Plastikdekorationsartikeln zu kaufen gibt: Efeu in hellstem Hellgrün, ehemals bunte Perlenketten, Spitzentischdeckchen (ja, auch aus Plastik und mit weißem Draht am Zaun befestigt) und der obligatorische Clown mit aufgemalter Träne. Diese traurige und auf mich immer auch irgendwie beängstigend wirkende Figur war mindestens zehnmal vertreten, und ich begann zu überlegen, ob es die Tränenclowns tatsächlich in wetterbeständiger Ausführung gab.
Ich vernahm einige »Was soll DAS denn?!«, »Nääää, auf keinen Fall!« und »Ich komm dir gleich rüber!!«. Kurze Zeit später stand Frau Dickmann wieder im Raum, »Mischael« noch immer an ihrer Hand, und erklärte: »Das war meine Tochter. Da muss ich dann schon drangehen. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, der Mischael, der kann das alles …«
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich Frau Dickmann klarmachen konnte, dass ich in erster Linie gekommen war, um mit ihrem Sohn zu reden. Ich versprach ihr, im Gutachten deutlich zu machen, dass sie der Ansicht war, ihr Sohn könne »das alles ganz alleine, das sag ich Ihnen!«, und erklärte, dass ich dieses Gutachten aber nur schreiben könne, wenn ich auch mit ihrem Sohn würde sprechen können. Alleine.
Schließlich konnte sich Frau Dickmann dazu durchringen, den Raum zu verlassen – dies allerdings nicht ohne »Mischael, der alles alleine kann« vorher mehrfach zu versprechen, dass sie nur nebenan sein werde und er sie jederzeit dazuholen könne. Sie ging tatsächlich aus dem Zimmer.
Da saßen »Mischael« und ich nun also in diesem Wohnzimmer, welches gemessen am Plastikaufkommen des Gartens schon fast als gemütlich bezeichnet werden konnte.
»Mischael« hatte sich bislang in erster Linie durch Schweigen, Blickkontakt-Vermeiden und Auf-seine-Mutter-Hören ausgezeichnet. Nun saß er mir gegenüber, rührte hektisch in seiner Kaffeetasse und räusperte sich mehrmals. Ich bemerkte, wie ich ungeduldig und auch irgendwie ärgerlich wurde.
»Mischael« war zweiundvierzig Jahre, arbeitslos und lebte seit geraumer Zeit wieder bei seiner Mutter. Das kann ja nun jeder halten, wie er möchte. Wenn aber ein solcher Mann unbedingt das Sorgerecht für seine drei kleinen Kinder haben möchte, dann frage
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