Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
schilderte ihm meinen Eindruck: Er fühlte sich im Umgang mit seinen Kindern häufig überfordert, hatte Schuldgefühle, weil er oft erleichtert war, wenn die Mutter sie wieder abholte, wollte aber unbedingt alles richtig machen und alles dafür tun, damit die Kinder es »so richtig schön hatten«. Und das misslang ihm jedes Mal mehr oder weniger. Herr Wischnewsky gab mir schließlich recht und begann zu erklären, wie es dazu gekommen war:
»Als die beiden Babys waren, da konnte ich überhaupt nichts mit ihnen anfangen. Und auch als sie sprechen konnten, wurde es irgendwie nicht wirklich besser. Alle haben gesagt, dass es dann anders wird, aber ich habe irgendwie keinen Draht zu ihnen. Jetzt ist es schon manchmal schön, aber ich verstehe einfach oft nicht, was Leonce und Lena wollen. Und dann sind sie so laut und wild … Ich dringe dann einfach nicht durch zu ihnen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe sie. Aber ich …« Herr Wischnewsky sah mich mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck an. »Ich will sie manchmal gar nicht bei mir haben.«
Ich bemerkte, wie schrecklich es für ihn war, diese Wahrheit ausgesprochen zu haben. Aber nun stand sie im Raum – und dadurch war es leichter, offen mit Herrn Wischnewsky zu sprechen.
Auf meine Frage, weshalb er denn dann bei Gericht einen Antrag auf eine Erweiterung des Umgangs gestellt habe, stand Herr Wischnewsky auf und lief unruhig im Zimmer hin und her. Er setzte sich wieder. Stand wieder auf. Lief herum. Setzte sich. Ich wartete.
Das ist etwas, das ich unglücklicherweise bei der Bearbeitung meiner ersten Fälle nicht genug berücksichtigt hatte: dass man eben manchmal einfach warten muss, weil die Menschen Zeit brauchen. Ich schäme mich noch heute für meine damalige Ungeduld. Zu Beginn meiner Sachverständigentätigkeit war ich unsicher und besorgt, ich könnte mich zu mitfühlend und generell zu »therapeutisch« verhalten. Ich sollte ja nicht therapieren, sondern »nur« begutachten. Dass ich damit falschlag, stellte ich sehr schnell fest. Und zwar aufgrund der Tatsache, dass ich mich selbst sehr unwohl fühlte mit dieser Art der Vorgehensweise, aber auch, weil ich merkte, dass sich die Menschen mir nicht wirklich öffneten. Ein »Sichöffnen« ist im Rahmen einer Begutachtung selbstverständlich etwas ganz anderes als im Rahmen einer Therapie. Aber auch in der Begutachtung gibt es hin und wieder Gespräche, in denen es ähnlich wie in therapeutischen Sitzungen zu schwer zu verarbeitenden Erkenntnissen und massiven emotionalen Schwankungen kommt. Wenn es mir gelingt, die Menschen in dieser Situation aufzufangen und sie zu unterstützen, dann tut das in der Regel nicht nur den Beteiligten, sondern auch der Gesamtsituation gut.
Herrn Wischnewsky hatte diese Bedenkzeit auf jeden Fall sehr gutgetan, denn er seufzte und beugte sich zu mir vor: »Also … Vor den Besuchsterminen … da ist mir ab und zu richtig schlecht, weil ich nicht weiß, wie es wird, und eben alles richtig machen will. Ich kann ja auch mit niemandem darüber reden. Wie wirkt das denn? Es ist ja eben nicht so, dass ich die beiden nicht will … ich … Mein Gott, das schreiben Sie doch jetzt nicht so in das Gutachten …?«
Ich versicherte Herrn Wischnewsky, dass wir versuchen würden, eine einvernehmliche Lösung zu finden, und dann ohnehin gar kein ausführliches Gutachten geschrieben werden müsste. Natürlich verstand ich seine Sorge. Wenn man zur Sachverständigen so ehrlich ist, wie er es gerade war, brachte das ja im Zweifelsfall massive Nachteile.
Ich glaube, dass es mit zu den schwierigsten Dingen für Eltern gehört, zuzugeben, wenn sie mit ihren Kindern überfordert sind oder gar weniger statt mehr Zeit mit ihnen verbringen wollen. Im Falle von Herrn Wischnewsky war es wichtig, ihm zu vermitteln, dass er nicht automatisch ein schlechter Vater ist, wenn er sich im Umgang mit seinen Kindern schwertut. Und dass es in Ordnung ist, zunächst einmal die Übernachtungskontakte nicht auszuweiten, wenn zu viel Unsicherheit und eine vielleicht doch wackelige Beziehung zwischen Vater und Kindern besteht.
Es stellte sich heraus, dass Herr Wischnewsky dem Druck von außen – sprich dem seiner Eltern und seiner Schwägerin – nicht hatte standhalten können und keine Möglichkeit gesehen hatte, zu sagen, dass er mit der Umgangsregelung, so wie sie war, vollkommen zufrieden war. Auch wenn er seine Kinder seltener sah als einige andere getrennt lebende
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