Die Schandmaske
meine Güte«, sagte er sarkastisch, »ich hatte keine Ahnung, dass er so aktiv ist. Ich dachte, er zöge die Zuschauerrolle vor.«
»Die Sache ist nicht komisch, Keith«, erklärte Sarah kurz. »Er braucht einen Anwalt. Kannst du nach Bournemouth kommen?«
»Wann?«
»Jetzt natürlich, du Affe. Sie machen wahrscheinlich in diesem Moment schon einen Abstrich bei ihm.«
»Hat er's getan?«
»Was?«
»Die Vergewaltigung«, antwortete Keith geduldig.
»Natürlich nicht«, gab sie wütend zurück. »Jack ist doch kein Vergewaltiger.«
»Dann hat er ja nichts zu fürchten. Der Abstrich wird beweisen, dass er keinen intimen Kontakt mit dem Opfer hatte.«
»Er sagt, sie glauben, dass er einem Pädophilenring angehört. Sie könnten ihn wegen geheimer Verabredung zur Vergewaltigung anklagen, wenn sie ihn wegen der Vergewaltigung selbst nicht drankriegen.« Sie seufzte. »Jedenfalls glaube ich, dass er das gesagt hat. Er war wütend, und es ging alles ein bisschen durcheinander.«
»Was zum Teufel hat er eigentlich angestellt?«
»Das weiß ich noch nicht«, erwiderte sie gereizt. »Setz endlich deinen Hintern in Bewegung und komm her. Du hast im Lauf der Jahre weiß Gott genug an uns verdient, um mal ein Opfer zu bringen.«
»Also, mit Strafsachen hab ich's nicht so, weißt du. Ihr tätet vielleicht besser daran, euch da unten einen Spezialisten zu suchen. Ich könnte dir ein paar Namen nennen.«
»Er will dich haben, Keith. Er sagte, er möchte einen Anwalt, dem er vertrauen kann. Also« - ihre Stimme schwoll an - »würdest du jetzt bitte aufh ören, Ausflüchte zu machen, und dich schleunigst in dein Auto setzen. Wir vergeuden hier nur Zeit. Er ist in der Dienststelle in Freemont Road in Bournemouth.«
»Ich komme, so schnell ich kann«, versprach er. »Sag ihm, er soll solange den Mund halten und keine Fragen beantworten.«
Leichter gesagt als getan, dachte Sarah, als man sie und Ruth bat, Platz zu nehmen und Cooper in einen Vernehmungsraum f ührte. Als die Tür geöffnet wurde, hörten sie Jack, der offensichtlich in voller Fahrt war. »Wie oft muss ich es Ihnen noch sagen? Ich habe sie vor einer Vergewaltigung gerettet, verdammt noch mal.« Seine Faust krachte auf den Tisch. »Ich weigere mich, mit Schwachsinnigen zu reden. Gibt's denn hier in diesem Scheißladen niemanden, der von Intelligenz wenigstens mal gehört hat?« Dann ein Aufschrei der Erleichterung. »Halleluja! Cooper! Wo haben Sie so lange gesteckt, alter Freund?« Die Tür wurde geschlossen.
Sarah lehnte seufzend ihren Kopf an die Wand. »Das Schlimmste bei Jack ist«, sagte sie zu Ruth, »dass er niemals halbe Sachen macht.«
»Er ist nur meinetwegen hier gelandet«, erwiderte Ruth unglücklich. Sie bewegte unablässig die Hände im Schoß, so nervös, dass sie kaum richtig atmen konnte.
Sarah sah sie an. »Ich finde, Sie können stolz auf sich sein. Ihretwegen hat er verhindert, dass einem anderen jungen Mädchen das gleiche geschehen ist wie Ihnen. Das ist doch gut.«
»Aber doch nicht, wenn sie glauben, dass Jack mitgemacht hat.«
»Cooper wird das schon aufklären.«
»Muss ich dann nichts sagen? Ich würde am liebsten gar nichts sagen«, erklärte sie hastig. »Ich hab solche Angst.« Ihre großen dunklen Augen schwammen in Tränen. »Ich will nicht, dass jemand was erfährt« - ihre Stimme zitterte. »Ich schäme mich so.«
Sarah, die starken seelischen Druck hatte aus üben müssen, um sie wenigstens so weit zu bringen, wollte diesen Druck nicht noch verstärken. Ruth befand sich schon jetzt in einem Zustand höchster emotionaler Anspannung. Verzweifelt versuchte sie, die Gleichgültigkeit ihrer Mutter vor sich zu rechtfertigen, weil sie dann ihre eigene Gleichgültigkeit dem in ihr wachsenden Fötus gegenüber rechtfertigen konnte. Aber das gelang ihr natürlich nicht, und ihre Schuldgefühle darüber, dass sie eine Abtreibung wünschte, wurden dadurch nur um so quälender. Die menschliche Psychologie hat keine Logik, dachte Sarah bedrückt. Sie hatte von ihrem Besuch im Cedar House nichts gesagt, sondern Ruth lediglich angeboten, sie nach Fontwell zu fahren. »Sie müssen fair sein«, hatte sie gesagt. »Das einzige, was Ihre Mutter weiß, ist, dass Sie ausgeschlossen wurden, weil Sie sich heimlich mit Ihrem Freund getroffen haben. Ich bin sicher, sie wird Verständnis haben, wenn Sie ihr die Wahrheit sagen. « Ruth hatte den Kopf geschüttelt. »Nein«, sagte sie leise. »Sie würde sagen, dass ich es nicht anders
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