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Die Schandmaske

Die Schandmaske

Titel: Die Schandmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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ihn, als er abfuhr.
    Der Arzt hat »Herzversagen« als Todesursache in Vaters Totenschein geschrieben. Es fiel mir schwer, keine Miene zu verziehen, als ich es las. Natürlich ist er an Herzversagen gestorben. Wir sterben alle an Herzversagen. Mrs. Spencer, die Haushälterin, war in Tränen aufgelöst, bis ich ihr sagte, ich würde sie weiterbeschäftigen, bis sie eine andere Stellung gefunden hat. Daraufhin erholte sie sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit von ihrem Kummer. Die Menschen dieser Klasse kennen keine Loyalität, außer zum Geld. Vater sah sehr friedlich aus, wie er da in seinem Sessel saß, das Whiskyglas noch in der Hand. »Im Schlaf verschieden«, wie der Arzt sagte. Wie wahr, wie wahr, in jeder Hinsicht. »Er hat mehr getrunken, als gut für ihn war, mein Kind. Ich habe ihn deswegen wiederholt gewarnt.« Er versicherte mir, ich brauche nicht zu fürchten, dass er gelitten habe. Ich gab eine passende Antwort, dachte aber bei mir: Wie schade. Er hätte es verdient gehabt zu leiden. Vaters schlimmstes Übel war seine Undankbarkeit. James hat wirklich Glück gehabt. Hätte ich geahnt, wie leicht es ist, Trinker loszuwerden ... genug gesagt.
    Leider hat Joanna mich gesehen. Das Ungl ückskind ist aufgewacht und kam herunter, als ich gerade das Kissen wieder wegnahm. Ich erklärte ihr, Großvater sei krank, und ich wollte ihm das Kissen hinlegen, damit er es bequemer hat. Aber ich habe das ungute Gefühl, dass sie Bescheid weiß. Gestern Abend wollte sie partout nicht einschlafen, lag nur da und starrte mich unaufhörlich mit diesem seltsamen Blick an.
    Aber was kann ein Kissen f ür eine Zweijährige schon bedeuten ...

15
    Eine halbe Stunde sp äter, mitten im besseren Teil der Stadt, hielt der Lieferwagen im Schatten einer feudalen Villa, um ein junges Mädchen mitzunehmen, das dort wartete. Jack sträubten sich die Haare im Nacken, als er sah, wie sie mit kindlichem Eifer auf der Mitfahrerseite vorn in den Wagen kletterte. Er wusste, dass sie so wenig wie Ruth auf die Überraschung gefasst war, die hinten im Wagen auf sie wartete.
    Der Lieferwagen fuhr auf die K üstenstraße hinaus, die nach Southbourne und Hengistbury Head führte, und als der Verkehr sich zu lichten begann, ließ Jack sich etwas zurückfallen. Er spielte eine Möglichkeit nach der anderen durch: Sollte er anhalten, um die Polizei zu alarmieren, und dabei riskieren, den Wagen zu verlieren? Sollte er das Fahrzeug rammen und riskieren, dabei sich und das Mädchen zu verletzen? Sollte er versuchen, der Bande einen Strich durch die Rechnung zu machen, indem er neben ihnen anhielt, wenn sie parkten, und riskieren, dass sie sofort wieder davonfuhren und ihn abhängten? Jeden dieser Pläne verwarf er sogleich als zu unsicher und bedauerte es plötzlich sehr, Sarah nicht mitgenommen zu haben. Nie hatte er sich ihren tröstlichen Beistand so sehnlich gewünscht.
    Der Lieferwagen bog auf einen leeren Parkplatz am Meer ein, und mehr aus Instinkt als Überlegung schaltete Jack seine Scheinwerfer aus, nahm den Gang heraus und ließ das Auto im Leerlauf bis zum Bordstein etwa fünfzig Meter hinter dem Lieferwagen rollen. Ein klarer Mond tauchte alles, was nun geschah, in kaltes Licht, aber Jack wusste schon, was er zu erwarten hatte. Ruth hatte ihm Hughes' Vorgehensweise nur allzu plastisch beschrieben. Der Fahrer, ohne Zweifel Hughes, stieß die Tür auf seiner Seite auf und sprang, das Mädchen hinter sich her zerrend, auf den Asphalt hinunter. Es folgte ein kurzes Handgemenge, dann hatte er sie mit beiden Armen fest umklammert und schleppte sie, obwohl sie sich verzweifelt wehrte, zum Heck des Wagens. Er lachte, als er die Tür hinten aufriss und sie wie einen Sack Kartoffeln ins erleuchtete Wageninnere schleuderte. Einen Moment stand das Lichtrechteck in der Dunkelheit, dann knallte Hughes die Türen zu und schlenderte, sich eine Zigarette anzündend, in Richtung zum Meer davon.
    Jack konnte sp äter niemals erklären, warum er tat, was er tat. Zurückblickend konnte er sich nur an seine Angst erinnern. Sein Handeln wurde ganz vom Instinkt diktiert. Es war, als verdrängte im Angesicht der Krise ein Urinstinkt alle normale Vernunft. Er war einzig auf das Kind konzentriert. Nur die Notwendigkeit zu helfen zählte, und um das zu tun, sah er nur eine M öglichkeit: Er musste die Türen des Wagens öffnen und das Mädchen der Gefahr entreißen. Er legte lautlos den ersten Gang ein und fuhr vorsichtig auf den Lieferwagen zu. Die ganze Zeit behielt

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