Die Schandmaske
viele Leute hätten denn nur mit einem Gürtel und einer Taschenlampe bewaffnet in so einer Situation eingegriffen und das getan, was er getan hat?« Er lächelte schwach. »Wir sind heute eine Nichteinmischungsgesellschaft, wo sich Heldentum auf den Fernsehschirm beschränkt. Erst neulich war da ein Fall, da wurde eine Frau im Beisein mehrerer Taxifahrer, die am Taxistand warteten, von zwei Männern sexuell attackiert, und nicht ein einziger rührte einen Finger, um ihr zu helfen. Im Gegenteil, die Herren haben noch ihre Fenster hochgekurbelt, um die Hilfeschreie nicht hören zu müssen. Soll ich Ihrer Einstellung zu Mr. Blakeney entnehmen, dass Sie solches Verhalten in unserer sogenannten zivilisierten Gesellschaft gutheißen?«
»Selbstjustiz ist genauso gefährlich, Mr. Smollett. Für jeden Fall von Nichteinmischung, den Sie anf ühren, kann ich einen anführen, bei dem unschuldige Menschen brutal misshandelt wurden, weil irgendein Trupp aufgebrachter Bürger über Schuld und Unschuld entschied. Soll ich Ihrer Haltung entnehmen, dass Sie diese Art der Lynchjustiz gutheißen?«
Keith gestand die Richtigkeit dieser Entgegnung mit einem Nicken zu. »Natürlich nicht«, antwortete er, »und hätte Mr. Blakeney sich mit einer Privatarmee auf den Weg gemacht, so wäre ich ganz auf Ihrer Seite. Aber er war allein, er stand ganz allein vor einer äußerst schwierigen Entscheidung - entweder sofort zu handeln, um die Vergewaltigung zu verhindern, oder das junge Mädchen seinem Schicksal zu überlassen, während er Hilfe holte.«
»Er wäre überhaupt nicht am Ort gewesen, hätten er und seine Frau nicht bewusst die Informationen über Miss Lascelles unterschlagen. Und Hughes und seine Bande wären nicht in der Lage gewesen, das junge Mädchen, das Mr. Blakeney rettete, solchem Terror auszusetzen, weil sie nämlich bereits unter Anklage der Vergewaltigung von Miss Lascelles hinter Schloss und Riegel gesessen hätten.«
»Aber Miss Lascelles hat Ihnen doch klipp und klar gesagt, dass sie zu viel Angst gehabt hätte, vor der Polizei auszusagen, wenn die Blakeneys weitergegeben hätten, was sie ihnen berichtet hatte. Sie hat Todesangst davor, dass Hughes seine Drohung, sie erneut zu überfallen, sobald er wieder auf freiem Fuß ist, wahrmachen wird, und es gibt selbst jetzt keine Garantie dafür, dass sie - oder das junge Mädchen, das heute Abend das Opfer war - den Mut finden wird, vor Gericht eine Aussage zu machen, die zu seiner Verurteilung führt. Meiner Ansicht nach fahren Sie am besten, wenn Sie sich an Jack Blakeney als Zeugen halten. Wenn er bei seiner Aussage bleibt, was er sicher tun wird, wird sein Vorbild Ruth Mut machen, und wenn das andere junge Mädchen und ihre Eltern sehen, was sie ihm schulden, werden auch sie vielleicht den Mut finden, mit der Wahrheit herauszurücken. Wenn Sie hingegen auf Ihren Anschuldigungen gegen Blakeney bestehen, können Sie jede Kooperation von diesen beiden verängstigten jungen Mädchen vergessen. Sie werden durchaus zu Recht daraus schließen, dass die Justiz auf Hughes' Seite ist und nicht auf ihrer.«
Der Inspector sch üttelte den Kopf. »Keiner von Ihnen scheint zu begreifen«, sagte er zornig, »dass wir Hughes nur den Rücken stärken, wenn wir Mr. Blakeney nicht belangen. Hughes' Verteidigung wird es sich bestimmt nicht nehmen lassen, vor Gericht auf den Unterschied zwischen der Nachsicht gegenüber der zugestandenen Gewalt eines Mittelklasse-Intellektuellen und der Unnachgiebigkeit gegenüber der angeblichen Gewalt eines Arbeitslosen der Unterschicht hinzuweisen. Vergessen Sie nicht, dass Hughes sich nicht einmal in der Nähe des Lieferwagens befand, als die Vergewaltigung stattfand. Jetzt sitzt er hier und behauptet, er h ätte von allem keine Ahnung gehabt. Der Kerl, der das Mädchen vergewaltigte, als Ihr Mandant in den Lieferwagen eindrang, ist gerade erst fünfzehn, ein Jugendlicher mit anderen Worten, der allenfalls zu einer Jugendstrafe verurteilt werden kann. Der älteste von den Burschen, wenn wir Hughes ausnehmen, ist achtzehn Jahre alt, und man wird sein Alter beim Prozess berücksichtigen. Im Augenblick stehen sie alle unter Schock und beschuldigen Hughes, der Anstifter gewesen zu sein, aber bis zum Prozess wird aus der ganzen Sache ein harmloser Jux geworden sein, den das Mädchen angestiftet hat und von dem Hughes keine Ahnung hatte, weil er weggegangen war, um einen Strandspaziergang zu machen. Und das Schlimmste daran ist, dass Mr. Blakeney das vor
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