Die Schandmaske
ühl, nur die geduldige Zuversicht, dass sie ihm Auskunft geben würde, ob mit oder ohne Anwalt.
Sie seufzte. »Ich könnte mit Leichtigkeit bestreiten, dass es so ein Porträt gibt. Die Bilder stehen alle im Atelier, und Sie würden das Mathildas nie im Leben erkennen. Jack malt keine Gesichter. Er malt Persönlichkeiten. Und man muss seine Farbchiffren verstehen und die Art und Weise, wie er die Dynamik von Form und Perspektive einsetzt, um seine Bilder deuten zu können.«
»Aber Sie bestreiten nicht, dass das Porträt existiert?« meinte er.
»Nur weil Jack es nicht bestreiten wird, und ich nicht besonders scharf darauf bin, mich der Falschaussage schuldig zu machen. « Sie lächelte, und ihre Augen leuchteten auf. »Es ist ein glänzendes Bild. Wahrscheinlich das beste, das er je gemacht hat. Ich habe es gestern entdeckt, kurz bevor Sie kamen.« Ihr Gesicht wurde wehmütig. »Ich wusste, dass es da sein musste. Ruth hatte eine Bemerkung gemacht, die mich darauf brachte. Sie sagte, Jack habe ihr erzählt, dass Mathilda mich ihre kleine Schandmaske genannt hat.« Sie seufzte wieder. »Das hätte er nicht wissen können, wenn Mathilda es ihm nicht gesagt hätte. Denn ich habe es ihm nie erzählt.«
»Darf ich mir das Bild ansehen?«
Sie ignorierte die Frage. »Er hätte sie nicht getötet, Sergeant, jedenfalls nicht für Geld. Jack hat für Materialismus nichts als Verachtung übrig. Für ihn ist Geld nur ein Maßstab seines Genies. Das ist der Grund, warum er nichts verkauft. Er bewertet seine Kunst um einiges höher als alle anderen.« Sie lächelte über sein ungläubiges Stirnrunzeln. »In gewisser Hinsicht macht das sogar Sinn, aber es ist irritierend, weil es so dünkelhaft ist. Die Argumentation läuft etwa folgendermaßen: Der Durchschnittsprolo ist unfähig, Genialität zu erkennen, darum hat er kein Interesse daran, ein Bild zu kaufen, ganz gleich, zu welchem Preis. Ein Renaissancemensch hingegen erkennt das Genie und ist auch bereit, eine stattliche Summe dafür zu bezahlen. Folglich: Wenn man ein Genie ist, setzt man einen hohen Preis an und wartet, bis der Richtige kommt und einen entdeckt.«
»Verzeihen Sie, Dr. Blakeney, aber das ist doch Blödsinn.« Er war wirklich ärgerlich. »Der Mann muss ja kolossal eingebildet sein. Hat denn überhaupt schon jemand gesagt, er sei ein Genie?«
»Über van Gogh hat das bis nach seinem Tod auch keiner gesagt.« Wie kommt es, dachte sie, dass Jacks gesundes Selbstbewusstsein die Leute immer so in Rage bringt? Weil in einer unsicheren Welt seine Sicherheit bedrohlich war? »Es spielt hier gar keine Rolle«, sagte sie ruhig, »ob Jack ein guter, ein schlechter oder ein mittelmäßiger Maler ist. Ich halte ihn für gut, aber das ist eine ganz persönliche Meinung. Der springende Punkt ist, dass er Mathilda niemals des Geldes wegen getötet hätte - wenn er überhaupt gewusst hat, dass sie mich zu ihrer Erbin eingesetzt hat, was ich bezweifle. Weshalb hätte sie es ihm sagen sollen und nicht mir?«
»Nur dass er dachte, Sie würden sich von ihm scheiden lassen und ihn auf dem trocknen sitzen lassen.«
»Na, das wäre doch wohl kaum ein Grund gewesen. Da wäre ich ja ganz allein in den Genuss des Geldes gekommen, richtig? Wie hätte er an die Erbschaft rankommen sollen, wenn wir geschieden gewesen wären?« Ich werde auf halbe-halbe gehen ... Sie schob den Gedanken von sich. »Außerdem hatte er vor zwei Wochen, als Mathilda gestorben ist, noch keine Ahnung, dass ich mich scheiden lassen will. Ich wusste es ja selbst noch nicht. «
Cooper nahm das mit Vorbehalt auf. »So etwas geschieht nicht aus heiterem Himmel, Dr. Blakeney. Er muss doch gemerkt haben, dass mit Ihrer Ehe etwas nicht mehr stimmte.«
»Sie unterschätzen Jacks Egozentrik«, entgegnete sie mit bitterer Ironie. »Er ist viel zu selbstbezogen, um die Unzufriedenheit eines anderen wahrzunehmen, es sei denn, er malt die betreffende Person gerade. Sie können es mir ruhig glauben, meine Entscheidung kam wirklich aus heiterem Himmel. Jedenfalls für ihn.«
Er paffte nachdenklich an seiner Zigarette. »Glauben Sie, dass er überhaupt noch einmal zurückkommt?«
»Oh, sicher. Er wird auf jeden Fall seine Bilder holen wollen.«
»Gut. Einige der Fingerabdrücke, die wir gesichert haben, könnten von ihm sein. Es wäre eine Hilfe, wenn wir sie eliminieren könnten. Dasselbe gilt natürlich für Ihre Abdrücke. Am Mittwochmorgen kommt ein Fingerabdruck-Team von uns nach Fontwell. Ich denke, Sie
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