Die Schandmaske
nicht gekommen, um über Forderungen zu diskutieren. »Wie die Fischweiber«, sagte sie wieder. »Wie die Fischweiber haben sie gekeift. Die Polizei vermutet jetzt offenbar, dass Mathilda ermordet wurde. Und weißt du, wie Ruth ihre Mutter genannt hat? Eine Nutte. Sie hat gesagt, sie wüsste, dass ihre Mutter in London eine Nutte ist. Sogar schlimmer noch. Sie hat gesagt, Joanna sei« - sie senkte die Stimme zu einem Flüstern und hauchte mit übertriebenen Mundbewegungen: - »eine beschissene Nutte.«
»Du meine Güte«, sagte Duncan Orloff, aus seiner heiteren Gelassenheit aufgeschreckt.
»Genau. Und Mathilda hat Joanna für wahnsinnig gehalten, und sie wollte Ruth umbringen, und sie schmeißt ihr Geld für irgendwas raus, wofür sie's nicht rausschmeißen sollte, und - jetzt kommt das Schlimmste - Ruth war an dem Abend, an dem Mathilda gestorben ist, im Haus und hat Mathildas Ohrringe gestohlen. Und «, fügte sie mit besonderer Betonung, als hätte sie nicht schon mehrmals »und« gesagt, hinzu: »Ruth hat auch schon andere Sachen gestohlen. Sie haben der Polizei von all dem anscheinend keinen Ton gesagt. Ich finde, wir sollten es melden.«
Er sah sie mit leichter Beunruhigung an. »Ist das wirklich unsere Sache, meine Liebe? Schließlich müssen wir weiterhin hier leben. Noch mehr Unerfreulichkeiten wären mir ein Gräuel.« Was Duncan heitere Gelassenheit nannte, bezeichneten andere als Apathie, und der Wirbel, der vor zwei Wochen durch Jenny Spedes schrille Schreie aufgerührt worden war, war äußerst störend gewesen.
Sie sah ihn mit ihren kleinen Augen scharf an. »Du hast die ganze Zeit gewusst, dass es Mord war, stimmt's? Und du weißt, wer's getan hat.«
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte er mit einem Anflug von Zorn in der Stimme.
Sie stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf den Boden. »Warum musst du mich immer wie ein Kind behandeln? Glaubst du denn, ich hätte es nicht gewusst? Ich weiß es seit vierzig Jahren, du naiver Kerl. Arme Violet. Nur zweite Wahl. Immer nur zweite Wahl. Was hat sie dir erzählt, Duncan?« Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sie hat dir irgendwas erzählt. Ich weiß es.«
»Du hast wieder getrunken«, sagte er kalt.
»Mathilda hast du es nie vorgeworfen, wenn sie getrunken hat, aber sie war ja auch vollkommen. Sogar betrunken war Mathilda noch vollkommen.« Sie taumelte ein wenig. »Wirst du nun melden, was ich gehört habe? Oder muss ich es tun? Wenn Joanna oder Ruth sie ermordet haben, verdienen sie nicht, ungestraft davonzukommen. Du erklärst mir jetzt hoffentlich nicht, es sei dir egal. Ich weiß, dass es dir nicht egal ist.«
Nat ürlich war es ihm nicht egal - nur Violet gegenüber empfand er nichts als betäubende Gleichgültigkeit -, aber besaß sie denn keine Spur von Selbsterhaltungstrieb? »Ich glaube nicht, dass Mathilda zum Spaß getötet wurde«, sagte er, ihr einen Moment in die Augen sehend. »Ich rate dir deshalb dringend, vorsichtig zu sein mit dem, was du sagst, und wie du es sagst. Insgesamt denke ich, es wäre besser, du überließest es mir.« Er griff an ihr vorbei, um den Fernsehapparat wieder lauter zu drehen. »Jetzt kommt die Wettervorhersage«, erklärte er und winkte sie ernst zur Seite, als wären die atmosphärischen Entwicklungen über dem Vereinigten Königreich für einen dicken alten Mann, der sich nur aus seinem Sessel erhob, wenn es absolut unvermeidbar war, von irgendeinem Interesse.
Ruth öffnete Jack mit mürrischem Gesicht. »Ich hatte gehofft, Sie würden nicht wiederkommen«, sagte sie unverblümt. »Sie kriegt immer, was sie will. «
Er l ächelte sie heiter an. »Und ich auch.«
»Weiß Ihre Frau, dass Sie hier sind?«
Er dr ängte sich an ihr vorbei ins Vestibül, lehnte das Bild von Joanna an die Wand und stellte seine Reisetasche auf den Boden. »Geht Sie das was an?«
Sie zuckte die Achseln. »Sie hat doch das Geld. Wir zahlen alle
drauf, wenn Sie und meine Mutter ihr Ärger machen. Sie müssen wirklich verrückt sein.«
Er war belustigt. »Erwarten Sie von mir, dass ich Sarahs Hintern küsse, damit Sie den Rest Ihrer Tage in Freuden leben können? Vergessen Sie's, Kleine. Hintern küsse ich nur im eigenen Interesse.«
»Nennen Sie mich nicht Kleine«, fuhr sie ihn an.
Seine Augen zogen sich zusammen. »Dann messen Sie mich nicht an Ihren eigenen Normen. Ich kann Ihnen nur einen guten Rat geben, Ruth, lernen Sie, etwas subtiler zu werden. Nichts ist abschreckender, als eine Frau, die gleich mit der
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