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Die Schanz

Die Schanz

Titel: Die Schanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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willkürlich und völlig ungeordnet alle Fakten und Ideen zum Toten aus dem Maisfeld aufzuschreiben. Wenn er einen Fall nicht in den Griff bekam oder in einer Sackgasse steckte, half es ihm oft, das erste Gesamtbild, das er sich gemacht hatte, in seine Grundelemente zu zerlegen und diese neu zu mischen. Einzelne Fragmente bekamen dann häufig ein anderes Gewicht, manchmal fand er dabei einen ganz neuen Blickwinkel und kam verschütteten Gedanken auf die Spur. Heute allerdings hatte er kein Glück, die Satzfetzen, die ihm immer mal wieder wie scharfe Blitze durch den Kopf schossen, wollten sich nicht greifen lassen.
    In der Nacht riss Astrid ihn aus dem Schlaf. Sie wimmerte vor Schmerzen. Kopf, Nacken, Schulter, Brust, alles tat ihr unerträglich weh, und sie schluckte gierig die Tabletten, die man ihr im Krankenhaus mitgegeben hatte. Toppe hielt sie im Arm, verstört und besorgt, so kannte er sie nicht, sie war immer eine eher zähe Kranke gewesen.
    Auch am Samstagmorgen ging es ihr nicht viel besser. Sie sagte, sie wolle nur schlafen und er solle irgendwo draußen etwas mit Katharina unternehmen. Also setzte er seine Tochter ins Auto, um mit ihr nach Düffelward zu fahren und das Hochwasser anzuschauen. Leider waren außer ihm noch Hunderte anderer Menschen auf dieselbe Idee gekommen. Autos aus Düsseldorf, Köln, dem ganzen Ruhrgebiet und Holland parkten zu beiden Seiten der Hauptstraße. Auf dem Deich herrschte dichtes Gedränge.
    Der eisige Wind trieb Toppe die Tränen in die Augen, und Katharina begann zu weinen, weil ihre Hände taub waren vor Kälte. Er knöpfte seinen Mantel auf, nahm sie auf den Arm, klemmte sich ihre Händchen in die Achselhöhlen und rannte den ganzen Weg zum Auto zurück.
    Als sie zu Hause ankamen, war die Matratze verschwunden. Astrid hatte geduscht und sich angezogen. Sie war immer noch blass, lächelte aber tapfer. «Morgen gibt’s Martinsgans. Arend und Sofia wollen uns bekochen.» Dann nahm sie Katharina zum Spielen mit in die Küche. Toppe holte sein Werkzeug und fing an, die Holzdielen auf der Galerie zu verlegen. Er versuchte, dabei möglichst an nichts zu denken. Er vergaß die Zeit, machte sich irgendwann ein Brot, schlief irgendwann ein paar Stunden, arbeitete weiter.
    Als Astrid vor ihm stand, ein Glas Wein in der Hand, war nicht nur die Galerie, sondern auch das Kinderzimmer fertig.
    «Katharina schläft, und in einer halben Stunde gibt’s Gans.»
    Er musste sich räuspern, um seine Stimme wiederzufinden. «Dann geh ich jetzt mal duschen und zieh mir was Frisches an.» Er schnupperte. «Mir ist gar nicht aufgefallen, wie köstlich es aus der Küche duftet. Wie geht es dir?» Vorsichtig berührte er ihre Schulter.
    «Viel besser. Du hast wirklich was geschafft.»
    «So langsam wird’s.»
    «Ja.» Sie schaute an ihm vorbei. «So langsam wird’s.»
     
    Sofia fand nur selten die Muße, ausgiebig zu kochen, besonders wenn sie, wie jetzt, eine große Ausstellung vorbereitete und beinahe Tag und Nacht malend im Atelier verbrachte. Aber heute hatte sie schon seit dem frühen Morgen in der Küche gestanden und ein richtiges Festmahl gezaubert.
    «Es ist zu blöde, dass ich ausgerechnet jetzt die Ausstellung in Boston habe.» Sie legte Astrid noch ein Stück Gänsebrust auf den Teller und schnitt es klein. «Wie lange musst du die Schulter ruhig stellen?»
    «Vier bis sechs Wochen, haben sie gesagt.»
    «Helmut und ich sind ja auch noch da.» Bonhoeffer reichte die Schüssel mit dem Rotkohl an Toppe weiter.
    «Du pusselst doch den lieben langen Tag in deinem Leichenkeller herum.» Sofia gab ihm einen zärtlichen Klaps.
    «Ich könnte ruhig mal weniger pusseln, davon ginge die Welt auch nicht unter.» Mit einem wohligen Laut lehnte er sich zurück und strich sich über den Bauch. «Es ist schon komisch, wie sehr ich unser lockeres Zusammenleben hier genieße. Dabei habe ich so etwas noch nie gehabt, nicht einmal als Kind. Meine Eltern hatten keine Zeit für mich und waren einander ohnehin genug. Ich bin quasi von Kindermädchen großgezogen worden. Und Sofia und ich, wir leben zwar seit mehr als zwanzig Jahren zusammen, aber doch immer mit sehr viel Freiraum.»
    Sofia nickte. «Es tut uns beiden gut, dass wir jetzt, allein von den Räumlichkeiten her, näher zusammenrücken. Verrückt, aber ich fühle mich angenehm geborgen, obwohl ich bisher gar nicht wusste, dass mir etwas gefehlt hat. Das ist schön, gerade jetzt im Alter.»
    Astrid lachte auf. «Im Alter, meine Güte!»
    «Na

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