Die Schanz
grad gesagt hab, das hab ich mir selbst zusammengesponnen, wirklich wissen tu ich nichts.» Sie stand schwerfällig auf und fing an, den Kuchen zu schneiden. «Ich muss weitermachen. Wenn ich etwas Genaues wüsste, ich würde es Ihnen wirklich sagen, ganz egal, was dann los wär. So ein schlechter Kerl war der Bouma nämlich gar nicht, bloß anders.» Ihre Stimme klang belegt. «Und es wär wirklich nett, wenn Sie das irgendwie hinkriegen könnten, dass ich hier mein Gesicht hab, sonst kann ich nämlich einpacken.»
«Na gut», dachte Toppe, «dann eben das auch noch.» Schenkenschanz spielte die Belagerungen im 16. Jahrhundert nach, und vor der Kneipe saß der Pate . Bizarrer konnte der Tag nicht mehr werden. Mit der Schulter stieß er die Küchentür auf und brüllte: «Vielen Dank auch, Frau Lentes! Aber ‹Ich weiß von gar nichts› ist mir doch ein bisschen mager. Von Ihnen hätte ich mehr erwartet.»
Er blickte in zufriedene Gesichter.
«Die nächste Runde Butterstreusel, frisch aus dem Ofen!» Bea Lentes schob ihn resolut beiseite und knallte das Kuchenblech auf den Tresen. Das allgemeine Gemurmel war voller Wohlwollen. Plötzlich war Ackermann neben ihm. «Sie schwitzen, Chef. Ich bin durch in dem Laden hier, nix zu holen. Machen wer draußen weiter, dann können Se auch ’n bisken ausdampfen.»
Draußen gab es Krawall. Ein Jugendlicher war mit seinem alten Mercedes bis direkt vors Fluttor gefahren. «Ich will raus! Nein, ich geh nicht über die Leiter! Soll ich nach Kleve latschen, oder was? Ich will mit meiner Karre raus und nachher auch wieder rein.»
Immer wieder ließ er den Motor dramatisch aufheulen. Einer der Torwächter beugte sich durchs Fenster zu dem Jungen im Auto, aber der ließ nicht mit sich reden. «Ist mir scheißegal, ob Bullen da sind! Als ihr mich gebraucht habt, damit ich für euch auf das Dach steige, weil ihr selbst zu viel Schiss hattet, da war ich gut genug, und als ich …»
Das Tor schwang auf.
«Wer war das?», fragte Toppe.
«Dat war der Urenkel vom Molenkamp, der Jens», antwortete Ackermann vergnügt. «Der wohnt mit seine Freundin zusammen inne Rote Ecke, mit der Rabea Unkrig. Nee, nich’ von unserm Unkrig, der Vater is’ ’n Onkel von dem.»
Toppe hakte lieber nicht nach.
«War dat jetz’ nich’ hochinteressant, Chef – damit ich für euch auf dat Dach steig –, wie war dat noch mit Boumas Schornstein verstopfen, hä? Un’ wie schnell dat Tor auf einma’ aufging, auch interessant. Wer schiebt denn da grad Dienst? Fink un’ Dahmen, guck ma’ an. Dann müssen die ja wohl auch mit drinhängen. Je’nfalls, den Jens, den kaufen wer uns, wenn er zurückkommt. So wie der den dicken Max markiert, is’ der in Wirklichkeit bestimmt ’n Weichei.»
Toppe war an der Kirchenmauer stehen geblieben. Kaum zu glauben, dass Norberts Hochzeit erst vierzehn Tage her war und sie hier alle in luftiger Festkleidung fürs Foto posiert hatten.
Er stieß das schmiedeeiserne Tor auf. «Ich brauche ein paar Minuten Ruhe.»
Vor dem Kirchturm stand ein einzelner Grabstein, mehrere Generationen der Familie Bos lagen hier beerdigt, von Wilhelm, gestorben 1877, bis hin zu Heinrich, gefallen im Osten 1944.
Langsam schlenderte er über den kleinen Friedhof, las die Namen auf den Grabsteinen, auf einem gab es sogar ein Foto. Gegen die Kirche gelehnt eine verwitterte Platte: «Hier leit begraven …», außer der Jahreszahl 1611 konnte er nichts weiter entziffern. Daneben stand ein Schaukasten für Gemeindemitteilungen. Auf einem vergilbten Blatt wurde die Geschichte der Kirche erzählt: 1586, kurz nach der Gründung der Schanz durch Martin Schenk von Nideggen, war die erste evangelische Kirche gebaut worden, die aber schon bald den heftigen Kämpfen um die strategisch wichtige Festung zum Opfer gefallen war. 1634 hatte man ein neues Gotteshaus errichtet. Die heutige Glocke war 1423 gegossen worden und stammte aus der 1809 im Hochwasser versunkenen Kirche von Brienen.
«Dat is’ nich’ ganz richtig», sagte Ackermann, der ihm still gefolgt war. «Dat war ’n Eisgang damals, nich’ bloß Hochwasser. Die Schollen haben die Deiche abrasiert, dadurch ging et alles furchtba’ schnell. Aber dat müssen Se doch wissen: Johanna Sebus!»
«Es gibt ein Gymnasium, das so heißt», erinnerte sich Toppe schwerfällig.
»Wat glauben Se denn, warum wohl! Die Johanna hat bei dem Eisgang ihre alte Mutter un’ ihre Nachbarin un’ die Kinder von der ausse Fluten auf so ’n Inselken
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