Die Schanz
Astrid fort. «Im Anschluss an den Krstić-Prozess hat sich das Niederländische Institut für Kriegsdokumentation mit Srebrenica beschäftigt und den so genannten NIOD-Rapport veröffentlicht.»
«Nederlandse Instituut voor Oorlogsdocumentatie», erklärte Cox. «Ein 7000 Seiten dicker Bericht, der dem holländischen Blauhelmkontingent Mitschuld an dem Massaker gibt. Daraufhin ist das holländische Kabinett zurückgetreten. Human Rights Watch allerdings wirft dem Rapport vor, er ginge nicht weit genug und würde sogar die Rolle der Niederlande und der UNO verharmlosen.»
«Aber et muss ja wohl gereicht haben», gab Ackermann zu bedenken. «Umsons’ tritt ’ne Regierung nich’ zurück.»
Katharina fing an, an seinem Bart zu zupfen. «Ich kann Zöpfe flechten.»
«Lasset sein, sons’ musste runter!»
Sie setzte sich wieder auf ihre Hände.
«Un’ Freund Bouma war bei de Blauhelme in Srebrenica.»
«Ja», bestätigte Astrid, «er war sogar einer der Stellvertreter des Kommandeurs.»
«Dat Bild – der, dem der Bouma da zuprostet, dat is’ ’n Offizier vonne Serben, oder?»
«Ich bin nicht sicher, aber aus den Prozessakten geht hervor, dass dieses Foto unmittelbar nach der Einnahme Srebrenicas aufgenommen worden ist.»
«Da gab et ja au’ wat zu feiern!»
Cox schaute ihn befremdet an. «Hat man gegen Bouma ermittelt?»
«Nein», sagte Astrid, «der hat nur als Zeuge ausgesagt. In diesem Prozess hier geht es in erster Linie um Krstić, nicht um die Rolle der Blauhelmtruppen. Aber ich weiß mittlerweile, dass zum Zeitpunkt des Massakers UN-Mitarbeiter vor Ort waren, militärische Beobachter, Dolmetscher, Journalisten. Wenn ich an die Leute rankäme … Vielleicht kann mir Wim Lowenstijn dabei helfen.»
Ackermann guckte in die Runde. «Gesetz’ den Fall, Bouma hat in Srebrenica Scheiße gebaut, ir’ndne dicke Schweinerei, wat, frag ich euch, hat dat mit de Schanz zu tun?»
Peter Cox wusste, dass er zwei linke Hände hatte. Wenn es ans Tapezieren und Anstreichen ging, hatte er immer Bekannte gefunden, die diese Arbeiten für ihn erledigten. Im Gegenzug hatte er ihnen ihre PCs eingerichtet und sie mit der neuesten Software versorgt. Als er in seine Wohnung in Kleve eingezogen war, hatte er Handwerker beauftragen müssen – Bekannte am Niederrhein hatte er nicht, und dabei war es bis heute geblieben.
Toppe und Ackermann hatten keine zehn Minuten gebraucht, einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Sie arbeiteten Hand in Hand, ohne viele Worte zu verlieren, und schafften es nebenbei sogar, Katharina bei Laune zu halten, indem sie ihr kleine Aufträge erteilten, sie helfen ließen.
Keinem schien aufzufallen, dass er sinnlos in der Gegend herumstand. Er hatte Blähungen. «Ich bin gleich wieder da.»
Astrid saß am Tisch auf der Galerie über die Prozessakten gebeugt und machte sich Notizen. Als er von der Toilette zurückkam, schaute sie hoch. «Was war dieser Bouma eigentlich für ein Typ?»
«Willst du nicht lieber Helmut fragen?»
Sie forschte in seinem Gesicht. «Hast du was?»
«Nichts, gar nichts.» Hastig zog er einen Stuhl heran und setzte sich. «Was willst du wissen?»
«Erzähl einfach.»
Toppe hatte sich ein glühend heißes Bad eingelassen. Seine Gedanken spazierten durch Boumas Häuser, wanderten nach Srebrenica und wieder zurück nach Schenkenschanz.
Mit einiger Sicherheit war Bouma am 19. Oktober gestorben. Gegen zehn hatte er mit seiner Tochter telefoniert, um elf wäre er normalerweise in der Kneipe aufgetaucht. Erschossen am Samstagmorgen zwischen zehn und elf – nicht in seinem Haus, nicht auf seiner Jolle. Vermutlich nicht einmal in der Nähe seines Grundstücks, sonst hätten Dellmanns den Schuss hören müssen. Bouma war zu Fuß unterwegs gewesen. Hatte er jemandem einen Besuch abgestattet? Am Freitag vor seinem Tod hatte er in der «Inselruh» verkündet, dass er am darauf folgenden Montag in Urlaub fahren würde, damit hatte er die Vandalen in eine Falle locken wollen. Hatte er stattdessen seinen Mörder auf den Plan gerufen? Jemanden, der in der Kneipe gewesen war und gehört hatte, dass er schnell handeln musste.
Toppe angelte nach seiner Armbanduhr – zwanzig vor elf –, die Wirtin stand bestimmt noch hinterm Tresen.
Sie rief ihn zurück, als ihr letzter Gast gegangen war.
Bouma wäre an besagtem Freitag viel länger als üblich geblieben, erzählte sie, und habe immer wieder von seinem Urlaub gesprochen. «Ich dacht schon, der hätte einen Sprung in
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