Die Schanz
der Platte.» Sie könne unmöglich sagen, wer in der Zeit in der Kneipe gewesen war. Um die Mitte des Monats hatte Frau Lentes ihre «Backwoche», und freitags kamen die Dörfler und kauften bei ihr Kuchen und Torten. «Ist ja nicht mehr wie früher, dass jede selber backt, aber Samstag und Sonntag lecker Kaffee und Kuchen, da will keiner drauf verzichten. Und ich mach dabei ganz schön Umsatz. Normalerweise kauft das ganze Dorf bei mir, sogar die Zugezogenen. Ich mach ja auch Herzhaftes, Zwiebelkuchen, Speckbrot und so was. Bouma hat sich auch immer fürs Wochenende eingedeckt.»
Fünfzehn
Die Luft war auf einmal schwer vor Nässe. Es wurde spürbar wärmer.
Die Fernsehleute hatten die Belagerung der Schanz aufgegeben, im Dorf erinnerte nichts mehr an den gestrigen Tag – die Leitern waren verschwunden, die Haustüren geschlossen, keine Menschenseele ließ sich blicken.
Als Toppe, Cox und Ackermann durchs Fluttor kamen, begann die Kirchenglocke zu läuten, das Portal wurde geöffnet, und die Gemeinde strömte heraus. Allen voran Molenkamp in einem Rollstuhl. Die Frau, die ihn schob, konnte kaum ihre Füße heben.
«Dem seine Schwiegertochter», raunte Ackermann, «Witwe, macht ihm den Haushalt, dabei hat se selber schon zweima’ ’n Schlag gehabt.»
Aus der Seitentür entließ die Pastorin eine Gruppe Kinder, die genauso gemessen und still wie die Erwachsenen ihren Heimweg antrat.
Cox versenkte die Hände in den Manteltaschen. «Die Popen hier haben aber regen Zulauf, alle Achtung, sogar Jugendliche in der Messe!»
«Dat sollt’ sich ma’ einer wagen, sonntags mit ’em Arsch im Bett zu bleiben!» Ackermann hatte Molenkamps Urenkel entdeckt. «Jens! Dat et weiß’, ich komm gleich bei dir vorbei, dienstlich!», brüllte er, aber der Junge zuckte mit keiner Wimper.
Mit derselben Einhelligkeit, mit der die Schänzer normalerweise durch Fremde hindurchsahen, musterten sie heute unverhohlen Peter Cox, seinen schwingenden, fast bodenlangen Mantel, die Fellmütze mit dem blutroten Stern – man griente und tuschelte.
Im Schaukasten hatte man die neuen Gemeindenachrichten ausgehängt. Der Spruch des Monats lautete: Wer dem Geringsten Gewalt tut, lästert dessen Schöpfer; aber wer sich des Armen erbarmt, der ehrt Gott.
Toppe wandte sich ab.
Und wieder liefen sie gegen Gummiwände. Jens Molenkamp machte auf Schnösel, ganz Kronprinz. Er sei in seinem Leben noch auf keinem Dach gewesen und habe auch nicht davon gesprochen, da müssten sie sich wohl verhört haben. Bei Gisbert Dahmen und Hans-Peter Fink, den beiden Torwächtern, wurden sie erstaunlich freundlich empfangen, man gab sich hilfsbereit – und ahnungslos.
«Ich scheiß in ’t Bett, verdammte Hacke!» Ackermann trat gegen den Ständebaum, dass die Vereinsschilder nur so schepperten. Zwei kleine Mädchen, die ein mit einer Babymütze geschmücktes Karnickel in einem Puppenwagen vor sich herschoben, blieben mit offenem Mund vor ihm stehen.
«Hat der Onkel euch Angst gemacht? Dat wollt’ er nich’, ehrlich.»
«Sollen wir uns die zwei nich’ ma’ zur Brust nehmen?», zischelte er Toppe durch die Zähne hindurch zu. «Die sind noch zu jung zum Lügen.»
«Ackermann …»
«Jupp, wenn ich bitten darf, aber is’ schon in Ordnung, Chef.» Dann drehte er sich einfach um und stapfte los. «Dat Einzigste, wat jetz’ noch hilft, is’ ’ne kleine, feine Falle», hörten sie ihn knurren. «Ha!»
Cox warf Toppe einen mulmigen Blick zu, aber der grinste nur. Ackermann hatte sich offenbar schon wieder beruhigt.
«Na, Voss», stupste er dem Rothaarigen gegen die Brust, der wieder einmal rauchend vor der Feuerwache stand. «Et is’ schon so wat mit de Sucht, wa? Haste Zeitung gelesen?»
«Ich les’ keine Zeitung.» Seine Augen flackerten über Toppe und Cox hinweg, die herangekommen waren. Er zog kräftig an seiner Zigarette und schaute zur Kirche hinüber. «Aber ich weiß, warum du fragst. Ist wegen dem toten Holländer, oder?»
«Stimmt, ja.» Toppe streckte ihm die Hand hin. «Wir haben schon mal miteinander gesprochen, aber ich glaube, ich habe mich nicht vorgestellt, Helmut Toppe.»
Der Mann schob die Zigarette zwischen die Lippen und berührte kurz Toppes Fingerspitzen.
«Angenehm, Klaus Voss …» Die Sommersprossen in seinem Gesicht flossen zu leuchtenden Inseln zusammen.
«Schönes Teil, Voss.» Ackermann griff nach der Wasserwaage, die der Rote an der Mauer abgestellt hatte. «Du has’ Ahnung von anständig’ Werkzeug. Sag
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