Die Schanz
Lage und nahm ein paar Zettel zur Hand. «Diese Akten hier sind von einer Verhandlung am Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen einen General der bosnischen Serben, Radistar Krstić, der dann im August letzten Jahres zu sechsundvierzig Jahren Haft verurteilt wurde.»
«Wegen Völkermordes», ergänzte Cox. «Das erste Urteil dieser Tragweite seit den Nürnberger Prozessen. Es hat so einiges ausgelöst, nicht wahr?»
Astrid nickte. «Hier geht es um die Ereignisse in Srebrenica, einer UN-Schutzzone in Bosnien, in der im Juli 1995 zirka siebentausend muslimische Männer und Jungen durch die Serben unter Krstić’ Befehl hingerichtet wurden.»
«Der größte Massenmord in Europa nach dem Krieg», bestätigte Cox.
«Da bimmelt wat bei mir», meinte Ackermann, «Bosnienkrieg, wo die UNO sich eingeschaltet hat, aber wat Genaues … Am besten, du fängs’ bei Adam un’ Eva an, oder bin ich hier der einzigste Doofi?»
Einen Moment lang war es still. «Nein, nein», sagte Toppe dann, «ich kriege es auch nicht genau zusammen.»
Astrid schob ihre Zettel zurecht. «Zu Beginn des Bosnienkrieges besteht die Bevölkerung Srebrenicas zu 75 Prozent aus Moslems und zu 25 Prozent aus Serben, aber die Serben schaffen es, die muslimischen Einwohner zu vertreiben, ihre Häuser niederzubrennen, etliche zu ermorden. Doch die Moslems organisieren sich neu, brandschatzen und morden ihrerseits, dann kippt das Ganze wieder zur anderen Seite – es ist ein ewiges Abschlachten. Schließlich verabschiedet der UN-Sicherheitsrat im April 93 eine Resolution, die den sofortigen Abzug der bosnisch-serbischen Armeeeinheiten aus der Region fordert, bewaffnete Auseinandersetzungen untersagt und alle Konfliktparteien auffordert, Srebrenica als UN-Schutzzone zu betrachten. Daraufhin schließen der Oberbefehlshaber der bosnischen Serben, General Ratko Mladić, und der Oberbefehlshaber der bosnischen Regierungstruppen, General Halilović, ein Abkommen: Die Enklaven Srebrenica, Zepa und Goražde werden mit sofortiger Wirkung entmilitarisiert, gleichzeitig werden UNPROFOR-Truppen dort stationiert, zunächst Kanadier, ab 1994 Niederländer.» Astrid trank einen Schluck Kaffee.
«Das hört sich prima an», mischte Cox sich ein, «aber in Wirklichkeit ist die Enklave nie völlig entmilitarisiert gewesen.» Er zögerte, aber Astrid nickte auffordernd.
«Eine Einheit der bosnisch-muslimischen Armee blieb und griff von dort aus serbische Ziele an, um sich Lebensmittel, Waffen und Munition zu beschaffen. Schließlich hatten die Serben die Nase voll und entschlossen sich, soweit ich weiß, auf höchster politischer und militärischer Ebene, die Schutzzone anzugreifen. Und General Krstić hat den Coup vorbereitet. Man deportierte Frauen und Kinder, verschleppte die Männer in umliegende Gebäude, teilweise auf UNPROFOR-Gelände, und erschoss sie.»
Astrid schluckte. «Es muss ein schreckliches Massaker gewesen sein, ich habe ein paar Aussagen von Überlebenden gelesen.»
Toppe stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus – es war diesig geworden. «Die Blauhelmtruppen sind danach ganz schön unter öffentlichen Beschuss geraten, nicht wahr? Das holländische Bataillon …»
«Dutchbat», fiel es Ackermann ein, «so nannte man die!»
Toppe drehte sich um. «Es hieß, das Dutchbat sei, zusammen mit einem in der Nähe stationierten skandinavischen Bataillon, das sogar über eine Panzereinheit verfügte, durchaus in der Lage gewesen, sich den Serben in den Weg zu stellen.»
«Tja», meinte Astrid, «die Holländer sagen, ihre Informationswege hätten nicht funktioniert, und außerdem: Was hätten 150 leicht bewaffnete Blauhelme gegen 2000 Serben ausrichten können?»
«Sie haben gar nichts getan», sagte Cox mit unterdrückter Wut. «Sie haben sich nicht einmal vor die Leute gestellt, die in ihren Quartieren Schutz suchten.»
«Un’ genau wegen diese Diskussion is’ dat holländische Kabinett zurückgetreten.» Bei Ackermann hatten sich die Teilchen zusammengefügt.
In diesem Moment kam Katharina hereingehüpft und zupfte ihn am Ärmel. «Ich will toben!»
Ackermann fixierte sie mit strengem Blick.
«Ich will aber!»
«Jetz’ komm ma’ bei Onkel Jupp auffen Schoß un’ halt die Klappe, sons’ darfste nachher nich’ mithelfen. Leute, die toben un’ quatschen, kann man bei de Arbeit nich’ brauchen.»
Katharina nickte ernsthaft, kletterte auf Ackermanns Schoß und klemmte sich die Hände unter die Oberschenkel.
«Ja», fuhr
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