Die scharlachrote Spionin
einen leichten Kopfschmerz.«
Osborne trat mit einem Schritt über den ausgestreckten Körper der Dirne und eilte zum Fenster.
»Sofia.« Er stemmte das Fenster noch ein paar Zentimeter nach oben.
»K ... kalt«, murmelte sie und klapperte mit den Zähnen. Auf ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut.
»Das tut dir gut.« Er schlang das Seil unter ihren Armen durch. »Bitte versuche, stehen zu bleiben, Süße«, drängte er sie.
Als Antwort erntete er nur ein gequältes Gemurmel.
»Verdammt noch mal, Sofia! Reiß dich endlich zusammen!«
Der gebieterische Befehl schien in ihr Bewusstsein zu dringen. Schwankend und stolpernd gelang es Sofia, ihre wackligen Beine wenigstens ein bisschen unter Kontrolle zu bringen.
»Halt dich fest!«, befahl er, verknotete das selbst gedrehte Seil unter ihrer Achselhöhle und sorgte dafür, dass sie das Ende des Seils mit den Fäusten umklammerte. »Du darfst nicht loslassen. Erst wenn ich es dir sage.« Er würde dafür sorgen, sie auf den Erdboden hinterzusenken; aber wenn sie mit den Armen herumfuchtelte, könnte sie eine Fensterscheibe zerschmettern und unerwünschte Aufmerksamkeit erregen.
Osborne schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Wachmänner die Rückseite des Gebäudes nicht im Auge behalten würden, und manövrierte sie auf den schmalen Mauervorsprung. Nachdem er sich selbst sicher an die Mauer gelehnt hatte, dauerte es nicht lange, bis er sie hinuntergelassen hatte. So weit, so gut. Kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, drehte er sich um und schnappte sich eine Peitsche mit Stahlgriff aus der Sammlung Sexspielzeuge, die an der Wand hingen. Sie war breiter als das Fenster, und nachdem er sie in die Laibung gezwängt hatte, schien die Konstruktion sein Gewicht tragen zu können.
Welche Wahl blieb ihm auch? Ganz bestimmt würde er nicht die Flügel spreizen und davonfliegen.
Osborne knotete das Ende des Seils an den Stiel der Peitsche und glitt aus dem Fenster. Mit den Stiefeln stützte er sich am Mauerwerk ab, während er sich so schnell wie möglich nach unten abseilte. Obwohl die Seide weich war, brannte die Reibung in seinen Handflächen. Er achtete nicht auf den Schmerz, löste Sofia aus den Knoten und drängte sie vorwärts.
»Los, geh!«, formte er wispernd mit den Lippen, als ob er schreien würde. Der Nebel war zwar getränkt mit allerlei Gerüchen aus dem Fluss, aber trotzdem war der Duft der Verwesung und des Verfalls längst nicht so betäubend wie die parfümierten Lügen in der Opiumhöhle.
Sofia marschierte ein paar Schritte vorwärts, hielt inne und kämpfte gegen einen Brechreiz.
Osborne unterdrückte die aufsteigende Panik und schaute sich um. Es blieb ihnen nicht genügend Zeit, den Weg durch die heruntergekommene Gegend zu Fuß zurückzulegen. Er musste dringend das Gift aus ihrem Körper entfernen. Obwohl es dazu vielleicht schon zu spät sein mochte. Sie mussten es darauf ankommen lassen, irgendwo in der engen Gasse eine Droschke zu finden - und vor allem hoffen, dass sie weder De Winton noch seinen Henkersleuten begegneten.
Lady Serena mochte sich ebenfalls in Gefahr befinden. Der Gedanke war ihm plötzlich durch den Kopf geschossen und schnürte ihm förmlich die Kehle zu. Er wollte versuchen, ihr eine Warnung zukommen zu lassen. Aber solange Sofia nicht in Sicherheit war, konnte er gar nichts unternehmen.
Zum Teufel noch mal! Warum schienen die Ladys, die ihm gefielen, nur immer in Gefahr zu schweben? Osborne seufzte gequält. Er konnte es der jungen Witwe wirklich nicht vorwerfen, dass sie sich von den Scarlet Knights hatte verführen lassen. Im Grunde genommen war Neugier selbst schon eine mächtige Droge, die süchtig machen konnte, und einer Lady mit überragendem Scharfsinn boten sich nur wenige Möglichkeiten, außerhalb der engen Grenzen der Gesellschaft die Welt zu erkunden. Auch er hätte gegen die Regeln rebelliert.
»Pass doch auf! Renn meine Kutsche nicht um, du warmer Bruder!«
Im Nebel war er an die Räder eines glänzend schwarzen Gefährts gestoßen. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, sodass das Leder einen Striemen auf Osbornes Wange hinterließ.
Bevor er begriff, was er tat, schubste er Sofia gegen die Kutsche und schwang sich auf den Kutschbock. Seine Faust traf den Kutscher am Kinn, ohne dass der Mann sich mit der Peitsche wehren konnte. Der zweite Schlag setzte ihn vollends außer Gefecht. Osborne fluchte atemlos, als er den reglosen Körper auf eine zerbrochene Weinkiste neben der Kutsche
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