Die scharlachrote Spionin
könnten Sie es kaum erwarten, mir zu entkommen.«
Lady Sofia besänftigte ihre Unruhe. Nur ihr Blick schweifte unablässig über die Menge, die sich über das Abendessen hermachte. »Wenn Sie mit mir reden würden, als wäre mein Gehirn ebenso weit entwickelt wie andere Teile meiner Anatomie, dann könnte ich mich vielleicht dazu durchringen, die Zeit mit Ihnen mehr zu genießen.«
Osborne verschluckte sich beinahe an seinem Champagner. »Aus Ihrem spitzen Tonfall darf ich wohl schließen, dass Sie es vorziehen, geradeheraus mit mir zu sprechen?«
»Ja.«
»Die meisten anderen Ladys hören lieber süßliche Nichtigkeiten.«
Sofia schien kaum merklich zu zögern. »Ich bin nicht wie die meisten Ladys, Sir.«
Das war ihm schnell klar geworden. Alles an ihr - der Blick aus den smaragdfarbenen Augen, die samtig dunkle Schönheit, die geschmeidigen Muskeln - war exotisch. Überraschend.
Bevor er antworten konnte, drehte sie sich ein wenig herum. Der Blick folgte einer Gestalt im Durchgang zum Ballsaal. »Nun, wenn es Sie nicht kümmert, meine Fragen zu beantworten, kann ich den Gentleman auch gern persönlich fragen.«
»Lady Sofia!«, begann er wieder.
»Lady Sofia!« Lord Webster näherte sich, begleitet von niemand anderem als Adam De Winton.
Osborne wollte seinen Freund mit einem Blick verscheuchen, aber offenbar wollte der Baron der Warnung keine Beachtung schenken.
»Gestatten Sie, dass ich Ihnen einen weiteren Bewunderer vorstelle, Contessa.« Er zwinkerte Osborne zu. »Entschuldige, Dev! Ich habe versucht, sie für uns zu reservieren, aber De Winton wollte sich einfach nicht abwimmeln lassen.«
Eine Vokabel, die sicher grundsätzlich nicht zu seinem Wortschatz gehört, dachte Osborne grimmig.
»In der Tat, die Lady ist viel zu wundervoll, um sich hier in die Ecke zu quetschen. Ich möchte Sie bitten, mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft zu erweisen.« De Winton hielt ihre Hand einen Sekundenbruchteil zu lange an seine Lippen. »Ich muss Ihnen ein Geständnis machen, Contessa ... schon den ganzen Abend über habe ich Sie aus der Ferne beobachtet, hatte auf die Gelegenheit gehofft, mich nähern zu dürfen und Ihnen meinen Respekt zu entbieten.«
Lady Sofia schenkte ihm ein Lächeln. »Ich konnte auch nicht umhin, Sie zu bemerken, Sir ... oder besser gesagt, Ihre Weste.«
Osborne biss die Zähne zusammen, um keine Grimasse zu ziehen.
»Sie mögen leuchtende Farben?«, fragte De Winton.
»Kommt darauf an.«
Osborne entging nicht, dass De Winton eine Spur breiter lächelte. »Worauf, Madam?«
Lady Sofia schlug die Augen nieder. »Auf viele Dinge.«
Verdammt! Will sie etwa mit dem Kerl flirten?
»Und was Ihren Geschmack betrifft, Sir, so haben Sie sich für eine sehr auffällige Rot-Schattierung entschieden. Gerade hatte ich mich gefragt, ob eine Geschichte dahintersteckt.«
»Ja, in der Tat. Ich würde mich glücklich schätzen, sie Ihnen bei einem der nächsten Tänze erzählen zu dürfen.«
»Oh, ich bedaure, Sir, meine Karte ist leider voll.«
»Was für ein Jammer!«
Aus der Nähe betrachtet tauchte die rote Farbe seiner Weste auch in De Wintons Augen wieder auf. War es möglich, dass die Lady für solch aufdringliche Zeichen des Zerfalls blind war?
»Sie müssen versprechen, mir einen Walzer zu reservieren, wenn wir uns das nächste Mal begegnen.«
»In der Tat, das werde ich.«
Die Menge drängte zurück in den Ballsaal. Die Musiker stimmten bereits ihre Instrumente.
Osborne freute sich über die Gelegenheit, dem Wortwechsel ein Ende zu setzen. »Lady Sofia, ich glaube, Woodbrigde hat sich für diesen Tanz eingetragen.«
Wenn Blicke töten könnten ... Die Contessa schien über die Unterbrechung überhaupt nicht glücklich zu sein. »Bitte entschuldigen Sie mich, Lord De Winton! Es sieht so aus, als dürfte ich keinen Takt aus dieser Gavotte versäumen.«
»Ciao.« De Winton formte das Wort mit den Lippen, als würde er in einen reifen Pfirsich beißen.
Osborne bemerkte, dass Sofia sich ein letztes Mal umwandte. »Ich an Ihrer Stelle würde arrivederci sagen«, murmelte er, »De Winton ist ein zügelloser Halunke. Und sein Geschmack in Sachen Bekleidung ist grauenhaft.«
Sofia mied seinen Blick. »Wie Sie vorhin bemerkten, Lord Osborne: Schönheit liegt im Auge des Betrachters.«
Dieses E-Book wurde von der "Osiandersche Buchhandlung GmbH" generiert. ©2012
6. Kapitel
S ofia beendete die Niederschrift ihres täglichen Berichts und legte den Stift beiseite. Lady Mooreworths
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