Die scharlachrote Spionin
Leckerbissen über die Spielhöllen, die De Winton bevorzugte - serviert bei gezuckertem Zitronenkuchen und Tee im überhitzten Salon der Lady - gehörte zu dem interessanteren Tratsch. Genau wie Mrs. Wentworths dunkler Hinweis auf Drogenkonsum unter seinen Freunden. Aber wie auch immer, wenn sie durch die Seiten ihres Notizbuches blätterte, schlüpfte ihr ein frustrierter Seufzer über die Lippen. Ja, es stimmte, langsam sammelte sie ein paar nützliche Informationen über die Mitglieder der Scarlet Knights. Dennoch hatte sie den Eindruck, als würde die Mission nur im Schneckentempo vorankommen.
Ganz im Gegensatz zu ihrem Leben in der Gesellschaft, das sie kaum eine Sekunde Atem schöpfen ließ. Sofia verzog das Gesicht. Die letzten Tage waren wie im Wirbelwind verflogen. Kleideranproben, morgendliche Aufwartungen, Tand und Flitterkram in der Bond Street einkaufen ... Der Alltag eines wohlbehüteten Aristokraten war anstrengender, als sie jemals gedacht hätte.
Sofia unterdrückte ein Gähnen und massierte sich den Nacken. Kein Zweifel, die Stunden strapazierten sie mehr als der Unterricht an der Akademie. In den Salons tanzte man jede Nacht bis in den frühen Morgen. Es war also kein Wunder, dass die verhätschelten Ladys des privilegierten Standes kaum je vor der Mittagszeit das Bett verließen. Sie hingegen war üblicherweise schon im Morgengrauen auf den Beinen. Reiten, Yoga und eine Stunde Fechtübungen im Ballsaal, um ihre Fähigkeiten nicht verkümmern zu lassen. Die Dienerschaft, die Lord Lynsley sorgfältig ausgesucht hatte, stellte solch merkwürdiges Verhalten nicht infrage. Aber weil ständig die Drohung über ihrem Kopf schwebte, dass irgendjemand ihre geheimen Aktivitäten ausspionieren könnte, achtete sie peinlich genau darauf, dass niemand etwas bemerkte.
Vorstoßen, herumwirbeln, parieren. Und wenn sie noch so hart trainierte, nichts konnte den nagenden Zweifel verjagen, dass die Dinge sich nicht so schnell entwickelten, wie sie eigentlich sollten. Lynsley hatte ihr zwar keinen Termin genannt, an dem die Sache erledigt sein sollte, aber es verstand sich, dass es in jeder Mission, die einem Merlin anvertraut wurde, wesentlich um Zeit ging.
Geduld, Prinzessin - mit der Geduld ist es wie mit deinem Schwert. Du kannst sie als Waffe nutzen. Die Worte ihres Fechtmeisters hallten ihr durch den Kopf. Einerseits war Il Lupino ein lüsterner alter Wolf, andererseits aber auch ein Meisterstratege, wenn es um Kriegskunst ging. In seinem Unterricht hatte sie gelernt, dass der Sieg nicht nur eine Frage der körperlichen Stärke, sondern immer auch eine Frage der geistigen Disziplin war.
Sofia betrachtete sich im Spiegel. Unter ihren drei Zimmergenossinnen galt sie als diejenige, die am meisten kultiviert und gebildet war. Siena und Shannon verfügten über einen verwegen athletischen Körperbau, über eine gewisse Tapferkeit, die wie ein Feuer in ihrem Blick zu lodern schien. Sie beugte sich ein wenig nach vorn. Es mochte sein, dass das Feuer in ihrem Blick ein bisschen zarter funkelte ... ladylike. Mit den Fingern umschloss sie das Medaillon, das ihr um den Hals hing. Sollte das etwa heißen, dass sie eine weniger gute Kriegerin war als ihre Waffenschwestern?
Solche Fragen schienen sie mehr zu beunruhigen als die anderen. Siena und Shannon verschwendeten nur selten einen Gedanken daran, wer sie waren und woher sie stammten. Sie waren Merlins, und das war es, was zählte. Sofia warf einen raschen Blick auf das zarte Porträt, das in das goldene Etui eingelassen war, bevor sie es zuklappte. Ja, auch sie war ein Merlin. Und in dieser Mission würde sie ihren Mut unter Beweis stellen.
Sie ließ die feine Kette in ihr Kleid zurückgleiten und konzentrierte sich wieder auf ihre Herausforderung. Lord De Winton machte mehr und mehr auf sich aufmerksam. Langsam wurde es Zeit, die Bekanntschaft in vertraulichere Bahnen zu lenken. Einer ihrer Tanzpartner hatte erklärt, dass Lady Serena Sommers manchmal die Gastgeberin für besondere Soireen der Scarlet Knights spielte. Es durfte nicht schwer sein, De Winton anzuregen, ihr eine Einladung zukommen zu lassen.
Was Lord Osborne natürlich missbilligen würde.
Er nahm seine Rolle als edler Ritter offenbar zu ernst. Sofia runzelte die Stirn. Angesichts seiner eigenen Tändeleien mit verheirateten Frauen und Witwen war es überraschend, wie sehr er sie zu schützen versuchte. Andererseits schien der Mann die seltsamsten Widersprüche in sich zu vereinen. Die meiste
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