Die scharlachrote Spionin
Der kühne Farbton brachte ihre schlanken, sinnlichen Rundungen perfekt zur Geltung.
Zur Hölle noch mal!
Osborne kniff die Augen noch enger zusammen, als er sich vom Tisch mit dem Punsch abwandte. Denn schon wieder tauchte ein Gentleman bei der Contessa auf. Der trug zwar kein Rot, aber seine Anwesenheit gab doch Anlass zur Sorge. Der Mann sah aus wie ein eitler Gockel vom Kontinent; der samtene Cutaway und die hauteng sitzenden Hosen stammten garantiert nicht aus der Werkstatt eines englischen Schneiders.
Als er wieder bei Lady Sofia auftauchte, fand Osborne seinen Eindruck bestätigt, als sie den Fremden begrüßte.
»Ciao, Marco! Wunderbar, dass du es geschafft hast, nach England zu reisen!« Sie erlaubte ihm, ihre Wange zu küssen anstatt ihrer Hand.
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, bella!«
Ein Landsmann? Das würde den schnörkelhaften Auftritt und die grelle Kleidung erklären - alles in allem waren die Italiener für ihre Neigung zu wirkungsvollen Auftritten bekannt.
»Bleibst du lange in London?«, wollte Sofia wissen.
»Schwer zu sagen.« Marco betonte die Worte, indem er die eleganten Schultern zuckte. Während er es tat, bemerkte Osborne das sanfte Spiel der Muskeln unter dem feinen Zwirn. Mit anderen Worten, trotz des hübschen Gesichts und des schulterlang gelockten Haars war der Kerl keineswegs nur ein eitler Gockel.
»Ich habe ein paar Geschäfte zu erledigen, bevor ich wieder nach Mailand zurückkehre.«
Osborne räusperte sich, brachte Sofia dazu, beschämt zu lachen. »Santa Cielo, schon wieder vergesse ich meine Manieren!« Sie drehte sich um. »Lord Osborne, gestatten Sie, dass ich Ihnen den Conte della Ghiradelli vorstelle.« An ihren Landsmann gewandt fügte sie hinzu: »Lord Lynsley, Papas alter Freund, hat freundlicherweise dafür gesorgt, dass Osborne mich während meiner ersten Wochen durch die Londoner Gesellschaft begleitet.«
»Glückspilz«, murmelte der Conte und zwinkerte unverhohlen.
Osborne brauchte nur wenige Sekunden, um den vorlauten Kerl zu verabscheuen, fixierte ihn mit kaltem Blick und senkte kaum merklich den Kopf.
Sofia zog kurz die Brauen hoch, bevor der Conte sich vorbeugte und ihr ein paar Worte ins Ohr flüsterte. Beide lachten.
Osborne widerstand der Versuchung, einen Tritt in den wohlgeformten Hintern des Italieners zu landen, und trank einen ordentlichen Schluck Champagner. Aber die kleine Explosion der zarten Luftblasen auf seiner Zunge trug nur dazu bei, seine gereizte Stimmung noch mehr zu verstärken.
»Lord Osborne.«
Er lächelte, freute sich darüber, sich abwenden zu dürfen. »Lady Serena.«
»Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, mich dafür zu bedanken, dass Sie mir Reptons Buch über Landschaftsgestaltung empfohlen haben.«
Genau wie die Contessa war Serena Sommers eine junge, wohlhabende Witwe. Aber da hatte die Gemeinsamkeiten auch schon ein Ende. Im Unterschied zu Lady Sofias dunklem Teint und ihrer gertenschlanken Figur war Lady Serena eine blasse, zierliche Erscheinung, beinahe wie eine Elfe. Silbrig blonde Locken umrahmten die zerbrechlich wirkenden Gesichtszüge, und der porzellanartige Teint betonte das tiefe Topaz ihrer Augen. Wie eine Venus-Statue. Hübsch, poliert, zierlich. Und sie besaß einen lebhaften Witz, was Osborne erst jüngst entdeckt hatte.
Sein Lächeln wurde breiter. »Ich vermute, dass Sie einige interessante Vorschläge zur Gestaltung Ihrer Terrasse gefunden haben.«
»Sehr interessante Vorschläge«, erwiderte sie, »die Gedanken über die Natur und seine Auffassung, dass eine gewisse Wildheit unangetastet bleiben sollte, sind ausgesprochen provozierend. Ich habe meine Vorstellungen in ein paar Skizzen festgehalten.«
Osborne warf einen Blick auf den Pappdeckel an ihrem Handgelenk und nutzte die Gelegenheit, die Contessa ihrem Mailänder Makkaroni zu überlassen. »Wenn Sie den nächsten Tanz noch nicht vergeben haben, würde ich mich glücklich schätzen, mehr darüber erfahren zu dürfen.«
»Ich hatte nicht die Absicht zu stören ...« Serena schaute zu Lady Sofia und dem Conte.
»Nicht im Geringsten. Die Contessa wird die Chance zu einer vertraulichen Plauderei mit ihrem Landsmann zweifellos begrüßen.« Die Etikette verlangte, dass er die Runde miteinander bekannt machte; Osborne stellte die Getränke beiseite und erledigte seine Pflicht mit kalkulierter Höflichkeit.
»Ich glaube, ich bin die letzte Lady in ganz London, die Ihre Bekanntschaft machen darf, Contessa.« Lady Serena
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