Die Schatten der Vergangenheit
Erfahrung bringen, was irgendwie möglich ist?«, argumentierte ich. »Ich will nun mal nicht, dass Asher mich ständig beschützen muss. Und wenn es eine Chance gibt,euch allen zu helfen … euch sterblich zu machen, möchtest du das denn nicht?«
»Bei deinem letzten Versuch, einen von uns sterblich zu machen, bist du beinahe eine von uns geworden. Meinst du, wir hassen dich so sehr, dass wir dir das wünschen?«
Ich kannte Gabriels und Lotties Wünsche nicht, doch ich wusste, was Asher wollen würde. Mich in Sicherheit und gut aufgehoben wissen. Aber ich hatte gelernt, dass man für seine Ziele auch mal etwas riskieren musste.
»Ich fahre«, beharrte ich.
»Du wirst dabei draufgehen.«
»Das klingt ja fast so, als würde dir das was ausmachen, Beschützer.«
Daraufhin legte Gabriel auf, als wolle er zeigen, wie Unrecht ich hatte.
Am Tag vor meinem Abflug lud mich Ben zum Frühstück ins Seaside Café ein. Während wir unseren Kaffee tranken, blickte er auf die Bucht hinaus. Mein Vater wollte nicht, dass ich fortging. Das war fast spürbar, genauso wie seine Besorgnis und seine Traurigkeit.
Dana, unsere Stammbedienung, schenkte mir die dritte Tasse Kaffee ein, und Ben schaute zu, wie ich Zucker und Kaffeesahne hineinschüttete.
»Du musst besser auf dich aufpassen.« Er legte einen Arm auf die Rückenlehne der braunen Sitzbank. »Fahr deinen Koffeinkonsum mal ein bisschen runter.«
Ich streckte ihm die Zunge heraus.
Er lachte. »Nein, ganz ehrlich. Du bist ja dann auf dichselbst gestellt.« Er wurde wieder ernst. »Und du willst diesen Trip nicht noch ein Weilchen hinausschieben? Nach allem, was dieses Jahr passiert ist, kommt mir das alles ein bisschen zu plötzlich.«
»Dad, hör auf, dir Sorgen zu machen. Wird schon alles gut gehen. Du weißt doch, dass ich auf mich selbst aufpassen kann.«
Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Noch immer nagten Schuldgefühle an ihm, und das würde auch noch lange so bleiben. Ich hatte gelernt, auf mich selbst aufzupassen, weil niemand – auch er nicht – dagewesen war, um mir zur Seite zu stehen. Ich berührte beschwichtigend seine Hand und heilte dabei doch wieder sein unregelmäßig schlagendes Herz, so zwecklos das auch war.
»Nur ein paar Wochen, dann bin ich wieder da!«
Er packte meine Hand und lächelte zaghaft. »Versprochen? Ohne dich ist Blackwell Falls einfach nicht mehr dasselbe!«
»Och, mir fallen schon ein paar ein, die mich nicht vermissen werden.«
Ich hatte Asher schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Würde er mich abreisen lassen, ohne sich von mir zu verabschieden? Der Gedanke quälte mich jede Nacht, raubte mir den Schlaf. Ich musste wissen, dass er für mich da sein würde, damit ich alles durchstehen konnte, aber er beantwortete ja nicht mal eine doofe SMS.
Ben schien meine Gedanken zu erraten. »Alles okay mit dir und Asher? Seit der Abschlussfeier hab ich ihn nicht mehr allzu oft zu Gesicht gekriegt.«
Er klang nicht so, als sei er allzu unglücklich darüber. Er mochte Asher, aber manchmal hatte ich das Gefühl, er wünschte, wir beide hätten nicht so bald nach Moms Tod etwas so Ernstes begonnen.
Ich zerknüllte meine Serviette auf meinem Schoß. »Bin mir nicht ganz sicher. Er ist sauer, weil ich beschlossen habe, meinen Großvater zu besuchen, ohne ihn vorher zu fragen.«
Ben runzelte die Stirn. »Das ist doch deine Entscheidung, oder? Als ob du dafür seine Erlaubnis bräuchtest!«
Mir war völlig klar, wohin dieser Gedankengang führte. »Entspann dich, Dad. Er versucht nicht, mir Vorschriften zu machen. Also, so viel Vertrauen musst du schon in mich haben.«
Er hob beschwichtigend die Hände. »Sorry! Weshalb ist er dann sauer?«
»Wir hatten schon irgendwie Pläne geschmiedet, und die habe ich damit durchkreuzt. Mir würde das auch stinken, glaube ich.«
»Hast du denn schon versucht, mit ihm zu reden?«
»Mehrmals. Aber er will mich anscheinend nicht sehen.«
Ben bedeutete Dana, er wolle zahlen. »Gib ihm ein bisschen Zeit. Der kriegt sich schon wieder ein.«
Ich sah meinen Vater an und schüttelte verwundert den Kopf. Früher in diesem Jahr hätte ich mir nie eine Welt vorstellen können, in der ich mich mit meinem Vater über meinen Freund unterhielt. Oder dass ich überhaupt einen Freund haben würde. Oder einen Vater.
»Was ist?«, fragte Ben, als ich vor mich hin starrte.
»Du. Ich. Das hier.« Ich deutete auf uns beide. »Ich bin einfach …« Ich schürzte die Lippen und suchte nach den richtigen
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