Die Schatten der Vergangenheit
Lucy wurde meinetwegen geschossen. Du bist beinahe gestorben. Ich …«
Asher legte mir einen Finger auf die Lippen. »Genug. Bitte!«
Ich hielt inne und lauschte einer Eule, die in der Nähe schrie. Asher wurde ausgesprochen ungern daran erinnert, wie knapp wir unserem Schicksal entgangen waren, aber es ging nun mal nicht anders. Ich seufzte und wünschte, ich könnte es ihm verständlich machen.
»Ich verstehe das schon.« Er hatte meinen Gedanken gehört. »Was aber noch lange nicht heißt, dass ich damit einverstanden bin.«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Hierbleiben und darauf warten, dass deine Freunde mich und meine Familie aufspüren?«
Das letzte Mal, als seine Beschützerfreunde in die Stadt gekommen waren, hatte er alles getan, um mich von ihrem Radarschirm fernzuhalten. Aber da hatte er auch schon im Vorhinein gewusst, dass sie kommen würden. Was, wenn sie beschlossen, den Blackwells einen Überraschungsbesuch abzustatten? Die Freundschaft zu Asher würde nicht mehr allzu viel zählen, wenn sie erfahren würden, wozu ich imstande war.
Er trat zurück und zwang mich, meine Hand fallen zu lassen. »Das ist nicht fair. Du weißt, du stehst an erster Stelle!«
»Du bei mir auch. Ich tue das doch, damit niemandem von uns etwas zustößt. Ich möchte eine Zukunft, Asher. Und so, wie die Dinge jetzt stehen, wüsste ich nicht, wie wir das hinkriegen sollten. Bitte fall mir nicht in den Rücken.«
Asher ging weg. In dem schlechten Licht konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. Lange Zeit schwieg er.
»Du gehst ja sowieso, egal, was ich sage«, meinte er schließlich.
»Asher …«
Ich verstummte. Die Wahrheit klang schrecklich, wenn er sie so sagte. Er klang bitter. Enttäuscht war er zuvor schon gewesen. Sogar wütend. Doch dass er mir gegenüber bitter klang, hatte ich noch nie erlebt. Trotz der Wärme zitterte ich. Ich wollte ihn umarmen, aber ich sah ihm an, dass er Abstand brauchte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Asher neigte den Kopf, er hörte etwas, das ich nicht hören konnte. »Wir sollten gehen«, sagte er leise. »Dein Dad hat gerade Lucy losgeschickt, um uns zu suchen.«
Wir machten uns auf den Rückweg, und ich zockelte hinter Asher her. Als Lucy sah, wie Asher und ich mit großem Abstand aus dem Wald kamen, verschwand ihr triumphierender Gesichtsausdruck. Sie warf mir einen fragenden Blick zu, den ich ignorierte.
Beim Essen war Asher sehr schweigsam. Meine Eltern bemerkten die angespannte Stimmung im Raum und dachten sich wohl, wir hätten Streit gehabt. Sie taten ihr Bestes, das Gespräch in Gang zu halten, während ich das Essen auf dem Teller herumschob und Asher höflich auf ihre Fragen über seine Pläne nach der Highschool antwortete, unter denen sich auch eine Ausbildung zum Fotografen in einem Institut in New York City nahe der Columbia University befand. Eine Antwort, die mich überraschte, da wir noch gar nicht über die Zukunft gesprochen hatten.
Je länger die Unterhaltung dauerte, umso mieser fühlte ich mich.
Als ich Asher später zur Tür brachte, gab er mir keinen Kuss, und als ich ihn fortgehen sah, hätte ich am liebsten losgeheult.
In den Tagen nach der Abschlussfeier wurde es auch nicht besser. Auf mir lastete ein unglaublicher Erwartungsdruck. Fast wünschte ich mir, ich könnte schon vor Freitag ins Flugzeug steigen.
Brandon dachte, ich hätte gelogen, was Marina anging, nur konnte er nicht genau sagen, inwiefern. Mehr als einmal versuchte er, mich dazu zu bewegen, mich ihm anzuvertrauen, und meine Ausflüchte ärgerten ihn. Lucy hasste mich dafür, dass ich ging. Meine Eltern beobachteten mich mit traurigen Augen, die meine Schuldgefühle noch vergrößerten. Und Asher …
Er ging mir aus dem Weg. Wenn ich ihn anrief, erreichte ich nur die Voicemail. Klingelte ich ihn direkt zu Hause an, hatte Lottie irgendwelche Ausreden parat, wieso er nicht ans Telefon kommen könne.
Gabriel war weniger freundlich, als ich zum zwanzigsten Mal anrief.
»Es ist falsch, zu gehen«, sagte er geradeheraus, nachdem ich ihm gesagt hatte, wann ich fliegen würde. In der Hoffnung, Asher würde mich wenigstens zum Flughafen begleiten.
»Schon klar, dass Asher und du das denken.«
Daraufhin schwieg er, und ich stellte mir Gabriels zorniges Gesicht vor. Ehrlich, ihm konnte es doch eigentlich nur darum gehen, dass seiner Familie nichts passierte. Er hätte mir also zuraten sollen.
»Findest du nicht, ich sollte alles über meine Fähigkeiten in
Weitere Kostenlose Bücher