Die Schatten der Vergangenheit
Seite und zog mich weg. Laura hatte vor, mir zur Feier des Tages selbst gemachte Makkaroni mit Käse zu kochen, mein Lieblingsessen, und ich lud Asher ein, am Abend vorbeizukommen. Er sagte zu, ehe seine Geschwister ihn mitnahmen. Ich schob die Gedanken an ihn beiseite und freute mich darüber, wie aufgeregt mein Vater war, als er jedem, der zuhörte, von meinen Studienplänen erzählte.
Als wir später nach Hause kamen, behauptete ich, dass ich mich schnell umziehen wolle, und raste nach oben. Wie jeden Tag – unzählige Male – checkte ich meine Mails.
Die E-Mail-Adresse meines Großvaters erschien, und ich klickte mit klopfendem Herzen darauf. Sie hatte einen Anhang, den ich zuerst öffnete. Ein Flugticket. Er hatte mir ein Flugticket nach San Francisco geschickt!
Liebe Remy,
mich schmerzt es so, von meiner Tochter zu hören. Deine Mutter bedeutete mir alles, und ich habe mir die Art, wie ich sie behandelt habe, nie verziehen. Ich wünschte, wir hätten die Möglichkeit gehabt, uns noch einmal zu sehen, dass ich sie um Verzeihung hätte bitten können. Mein einziger Trost ist, dass ich nun weiß, dass ich eine Enkeltochter habe. Es gibt vieles zu bereden. So vieles, was ich dir sagen muss. Du bist in Gefahr, genauso wie die, mit denendu lebst. Dieses Flugticket habe ich in der Hoffnung angehängt, dass du zu mir kommst, wenn es deine Mutter schon nicht konnte. Bitte schiebe es nicht auf – es ist an der Zeit, die Wunden der Vergangenheit zu heilen.
Dein Großvater,
François Marché
Die letzte Zeile war mir schon von den Aufnahmen meiner Mutter bekannt – ein Code, der mir zwei Dinge mitteilen sollte. Ich konnte sicher zu meinem Großvater reisen, und ich sollte es möglichst schnell tun. Ich sah mir wieder das Ticket an. Bis zum Abflug vom John-F.-Kennedy-Flughafen war es nicht mal mehr eine Woche hin. Meine Mutter hatte darauf bestanden, dass ich die Identität meines Vaters vor meinem Großvater verbarg, da sie sich nicht sicher war, wie er darauf reagieren würde, dass in Bens Adern Beschützerblut floss, also hatte ich ihm vorgegaukelt, ich würde seit ihrem Tod bei Freunden in Brooklyn wohnen. Noch mehr Lügen.
Mir war klar gewesen, dass ich Blackwell Falls irgendwann verlassen müsste, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es schon so bald sein würde. Wie würde ich es meiner Familie beibringen? Wie Asher? Bestimmt würden sie versuchen, mich umzustimmen.
Aber wenn ich sie durch meine Abreise vor Unheil bewahren konnte, dann musste ich gehen.
Die einzige Frage, die sich wirklich stellte, war, wie ich ohne sie überleben sollte?
Ich nahm mir vor, nicht lange um den heißen Brei zu reden.
Als ich mit bleischweren Füßen hinunterstapfte, hörte ich Ben, Laura und Lucy in der Küche. Lucy und Ben saßen plaudernd am Küchentisch, während Laura am Herd stand und in der Tomatensoße für die Nudeln herumrührte.
»Ich muss mit euch reden!«
Alle drei drehten sich zu mir um, und ich hätte beinahe die Nerven verloren.
Ben zog eine Braue hoch. »Das klingt ja richtig ernst!«
»Ist es auch. Nach Moms Tod habe ich in ihrem Papierkram Infos über meinen Großvater gefunden.« Ich kümmerte mich nicht um Lucys argwöhnischen Blick und fuhr fort. »Ich habe ihm gemailt, damit er über sie Bescheid weiß. Er hat mir geantwortet und möchte, dass ich ihn besuchen komme.«
Laura kniff sorgenvoll die Lippen zusammen. »Möchtest du das denn?«
Ich nickte. »Ich bin ihm ja noch nie begegnet, und ich würde es wirklich gern tun.«
»Nein.«
Ich hatte gedacht, Ben würde protestieren, aber Lucy kam ihm zuvor.
»Da wäre noch etwas«, setzte ich rasch hinzu, um sie gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen. »Er hat mir ein Ticket geschickt. Ich fliege am Freitag.«
Ben runzelte die Stirn. »Diesen Freitag? Warum denn schon so bald?«
»Ich schätze, ihm liegt dran, weil er Anna vor ihrem Tod nicht noch mal gesehen hat. Er möchte wohl keine Zeit verlieren, mich kennenzulernen und das alles.«
»Und du?«, fragte Ben.
»Ich fange im Herbst mit dem College an. Das Timing stimmt also.«
Ben trommelte nachdenklich mit den Fingern auf den Tisch, und Lucy wandte sich an ihn. »Du darfst sie nicht gehen lassen!«
»Lucy, Remy ist achtzehn. Da kann sie tun und lassen, was sie will.« Allerdings machte er ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.
Meine Schwester stand auf. »Das gibt’s doch wohl nicht, dass du sie allein in der Weltgeschichte herumgondeln lässt, während Dean sich da draußen
Weitere Kostenlose Bücher