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Die Schatten der Vergangenheit

Die Schatten der Vergangenheit

Titel: Die Schatten der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corrine Jackson
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verschwand die Treppe hinauf und erschien einige Augenblicke darauf ohne mein Gepäck wieder.
    »Du dürftest Hunger haben, oder?«
    Ich nickte feierlich. »Schließlich bin ich ein heranwachsender Teenager!«
    »Ha! Wenn du noch weiterwächst, kannst du aus den Wolken auf mich herunterspucken!«
    Überrascht, wie gut ich mit seinem Humor zurechtkam, schnitt ich ihm eine Grimasse.
    »Du musst gerade reden, Rübezahl.«
    Diesen Vergleich fand er lustig, und er grinste. In der Küche setzte ich mich auf einen Stuhl und schaute zu, wie er große, dicke Sandwiches zubereitete.
    »Wie lang wohnst du denn schon hier?«, fragte ich. Dass er tatsächlich wenig kochte, sah man an den glänzenden Arbeitsflächen und den auffällig wenigen Gerätschaften.
    »Och, seit ein paar Jahren. Über die Jahre bin ein bisschen herumgezogen, aber hier gefällt’s mir wirklich.« Er machte sich daran, Scheiben von einem Stück Käse abzuschneiden. »Hier gibt’s überall Wanderwege und …«
    Er verstummte mitten im Satz und fing an zu fluchen. Von seinem Finger tropfte Blut und er eilte zur Spüle und drehte den Wasserhahn auf. Als er den Finger unter den Strahl hielt, färbte sich das Wasser rosa. Er hatte sich geschnitten.
    Ich holte tief Luft und ging zu ihm hinüber. Jetzt oder nie, dachte ich.
    »Darf ich?« Ich streckte die Hand aus.
    Er zögerte einen Augenblick, dann drehte er den Hahn zu und legte seine Hand in meine. Um ihn zu heilen, musste ich den Schnitt nicht berühren. Ich öffnete meine Sinne und das Summen in mir schwoll an. Ich stellte mir vor, wie die Kanten der Schnittwunde sich aufeinander zubewegten und zusammenwuchsen. Als der Schnitt verheilt war, schnappte mein Großvater nach Luft.
    Ich senkte den Blick, damit ich ihm nicht in die Augen sehen musste, denn ich hatte Angst, er könnte sich vor mir fürchten, auch wenn diese Gabe von meiner Großmutter an mich weitergegeben worden war und er damit vertraut sein musste. Als ich seine Hand losließ, leuchteten zarte blaue Funken auf. Er wandte sich ab, um sich das letzte Blut von den Fingern zu waschen. Ich war froh darüber, denn dadurch bekam er nicht mit, wie ich zusammenzuckte, als die Haut meines Fingers aufriss und stechende Schmerzen einsetzten.
    Sowohl Asher als auch meine Mutter hatten mir erklärt, dass andere Heilerinnen die Verletzungen, die sie heilten, nicht absorbierten. Es schien also eine Begleiterscheinung meines Beschützerblutes zu sein. Eine Begleiterscheinung, von der ich meinem Großvater lieber noch nichts erzählen wollte. Während er noch an der Spüle stand, entschuldigte ich mich rasch und machte mich auf die Suche nach dem Badezimmer.
    Sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, drehte ich den Wasserhahn auf und wusch mir das Blut von der Wunde am Finger. Ich warf meinem Spiegelbild einen finsteren Blick zu. Zehn Minuten. Ich war kaum zehn Minuten hier, da hatte ich auch schon meine Kräfte eingesetzt. Asher wäre stocksauer.
    Seufzend fing ich an, meinen Finger zu heilen. Als ich in die Küche zurückkam, wies bis auf das übliche Frösteln, das nach jeder Heilung bei mir einsetzte, nichts mehr auf die Wunde hin. Ich zog mir einen Stuhl heran, setzte mich an den kleinen Esstisch und wartete, bis sich mein Großvater zu mir gesellte. Das kameradschaftliche Gefühl von vorher war wie weggeblasen und wurde von Verlegenheit abgelöst.
    Mein Großvater bog die Schultern vor Traurigkeit oder Erschöpfung nach vorn, und nun sah man ihm sein tatsächlichesAlter schon eher an. Er trug zwei Teller an den Tisch und stellte einen vor mich hin, ehe er mir gegenüber Platz nahm. Die zerkratzte Holzoberfläche des Tisches erbebte, als er seine Ellbogen darauf stützte und dann das Kinn auf die verschränkten Hände legte. Während ich die dunkelblauen Augen von meinem Vater geerbt hatte, hatte mein Großvater offensichtlich die braunen Augen an seine Tochter weitergegeben. Allerdings hatte sie mich nie so durchdringend angesehen, dass ich mich am liebsten gewunden hätte.
    »Als du mir von deinen Fähigkeiten geschrieben hast, da habe ich irgendwie gehofft, du würdest dich irren«, meinte er schließlich.
    »Du hast gedacht, ich lüge?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich war nur ein alter Mann, der sich wünschte, seine Enkeltochter würde sich nicht mit diesem Fluch, der unsere Familie auseinandergerissen hat, herumschlagen müssen. Und jetzt iss.«
    Ich versuchte es, aber der Appetit war mir vergangen. Ich hatte zwar nicht erwartet, dass

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