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Die Schatten der Vergangenheit

Die Schatten der Vergangenheit

Titel: Die Schatten der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corrine Jackson
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er vor Freude darüber, dass ich eine Heilerin war, Luftsprünge machen würde, aber ich wusste nicht recht, wie ich seine Enttäuschung deuten sollte.
    Schließlich ließ auch mein Großvater es sein, so zu tun, als würde er essen. Er schob seinen Teller weg, seufzte ein weiteres Mal tief auf und rieb sich mit seiner Pranke das Gesicht.
    »Na, dann wär’s jetzt vielleicht an der Zeit, dass du mir erzählst, was mit meiner Anna passiert ist.«



Natürlich, diese Frage interessierte ihn zunächst mal am meisten.
    »Meine Mutter …«, begann ich. Ich biss mir auf die Lippen. Viel Gutes gab es über Anna nicht zu berichten. Wie viel wollte er wissen? Sollte ich ihn besser anschwindeln?
    Er schien meinen Zwiespalt zu spüren. »Du brauchst mich nicht zu schonen, Remy. Ich bin alt, aber die Pumpe funktioniert immer noch einwandfrei. Ich werde schon keinen Herzinfarkt kriegen.«
    Er schenkte mir den Hauch eines Lächelns, und ich entschied, ihn beim Wort zu nehmen. Zunächst erzählte ich von meinen frühesten Erinnerungen. Wir hatten zwar nie viel Geld gehabt, aber deshalb war nicht immer alles nur schrecklich gewesen. In jener Zeit hatte meine Mutter viel gearbeitet, doch wenn wir zusammen gewesen waren, hatte ich gespürt, dass sie mich liebte. Langsam näherte ich mich dem Tag, als Dean bei uns eingezogen war, und den Jahren, die ihrer Heirat folgten.
    Die Gesichtszüge meines Großvaters spannten sich an, als ich ihm schilderte, wie er uns misshandelt hatte. Es kam mir seltsam vor, diese entsetzlichen Einzelheiten vor einem Fremden auszubreiten, aber irgendwie fandich, er müsse wissen, wie es uns ergangen war. Ich dachte, vielleicht hatte meine Mutter mir ja überhaupt nur von meinem Großvater erzählt, damit er durch mich von diesem ganzen Wahnsinn erfahren würde. Anna hatte sich die Schuld am Tod meiner Großmutter gegeben, und Dean war ihre Strafe und Buße gewesen. Nur, dass sie mich mit in die Scheiße geritten hatte.
    Ich erwähnte natürlich nicht, dass ich Annas Verletzungen ein ums andere Mal übernommen hatte. Es war schon schlimm genug, dass mich Dean verprügelt hatte. Allerdings erzählte ich ihm, dass Mom behauptet hatte, sie wüsste nicht, dass ich eine Heilerin war, und dass ich immer dachte, ich sei ein Freak, und erst durch die Aufnahmen erfahren hatte, was ich eigentlich war.
    Irgendwann fragte ich meinen Großvater, ob ich einen Kaffee bekommen könnte, und er stand auf, um einen aufzusetzen. Wir wechselten ins Wohnzimmer hinüber, und ich schlang meine kalten Finger um den Becher, um sie zu wärmen. Es war dunkel geworden, und ich kuschelte mich ans eine Ende der Couch.
    Mein Großvater nahm am anderen Ende Platz. Sein Gesicht wurde von der Stehlampe, die sich über seinen Kopf neigte, in einen warmen, bernsteinfarbenen Lichtschein getaucht. Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel, und ein Kaffeebecher hing vergessen in seinen Händen.
    »Bedauerst du, dass ich es dir erzählt habe?«, fragte ich, als die Stille unerträglich wurde.
    Er verzog den Mund zu einem zaghaften Lächeln. »Kein bisschen. Es ist nur eine äußerst traurige Geschichte, Remy. Ich bedaure, dass meine Wut deine Mutter dazu getrieben hat.«
    »Du hast ihr damals die Schuld gegeben?«
    »Zunächst schon«, gab er zu. »Es war der blanke Horror, Remy. Zuschauen zu müssen, wie sich deine Großmutter für mich geopfert hat.«
    Ich musste meine Fantasie nicht anstrengen, um zu verstehen, wie grausam das gewesen sein musste. Dean hatte Asher und mich in dieselbe Situation gebracht.
    »Ich habe deine Großmutter mehr geliebt als mein Leben«, fuhr er fort. »Als sie auf diese Weise sterben musste … da habe ich … nun, mehr als getrauert. Eine Zeit lang brauchte ich jemanden, dem ich die Schuld geben konnte, und diese Person war unglücklicherweise deine Mutter. Als mir klar wurde, dass die Beschützer die Einzigen waren, die ich dafür verantwortlich machen konnte, war es zu spät. Deine Mutter war fort. Diese Dreckskerle haben mir alles genommen.«
    Das Wort Beschützer spie er förmlich aus, und ich sah hinunter auf meine Kaffeetasse. Es war richtig gewesen, meinen Vater zu verschweigen. Selbst jetzt noch, zwanzig Jahre später, bebte mein Großvater vor Zorn. Hätte ich Asher nicht getroffen, hätte mich meine Wut auf Dean ebenso aufgefressen?, fragte ich mich. Ich befürchtete, die Antwort lautete ja.
    »Hey«, meinte er. Er zupfte an meiner Sockenspitze, um mich aus meinen Gedanken zu

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