Die Schatten der Vergangenheit
unsere Antworten. Schluss mit dem Warten. Aber beim ersten Anzeichen von Gefahr sind wir aus der Nummer raus. Keine Widerrede! Wenn’s sein muss, schnapp ich dich und trag dich weg!«
Ich schlang die Arme um ihn und gab ihm einen dicken Kuss. »Das wird nicht nötig sein. Ich möchte nicht sterben. Oder Gabriel erklären müssen, wieso sein Bruder einen kaputten Rücken hat, weil er mich quer durchs Land schleppen musste.«
Asher lachte erleichtert, und ich wusste, wir beide würden das hinbekommen. Gemeinsam schafften wir das. Gemeinsam waren wir stark.
Der Rest des Fluges verging schnell.
Meine Mutter hatte gewünscht, dass ich mein Beschützerblut verheimlichte. Insofern konnte ich bei meinem Großvater auf keinen Fall mit meinem Beschützerfreund auftauchen. Wie sich herausstellte, hatte mich Asher in den letzten Tagen nicht ignoriert, um mir eins auszuwischen. Erwar damit beschäftigt gewesen, in San Francisco eine Unterkunft zu finden, damit er in meiner Nähe sein konnte.
»Warum hast du mir das nicht gesagt?«, fragte ich fast vorwurfsvoll.
»Du hättest versucht, mir das Ganze auszureden.«
Ich dachte einen Augenblick darüber nach und nickte dann. »Stimmt. Ich bin froh, dass du nicht zurückgerufen hast.«
Als ich nach meiner Tasse griff, kam er mir zuvor und tauschte meinen Kaffee mit seinem Sodawasser aus. Er zog eine Grimasse. »Bitte trink den nicht. Der ist doch grauenhaft!«
Ich kapierte, dass er meinen Kaffee quasi mit probiert hatte, weil wir uns berührten, als ich davon getrunken hatte. Ich lachte, und andere Passagiere drehten sich nach uns um.
»Du hast tatsächlich darüber nachgedacht, wie schrecklich er schmeckt und hast dann doch einen Schluck getrunken!«
Irritiert schüttelte er den Kopf, und ich kicherte erneut. Er mochte Kaffee längst nicht so wie ich, selbst wenn er gut schmeckte.
»Ich brauche den Koffeinkick. Hab letzte Nacht nicht viel geschlafen.«
»Ich halte dich wach«, sagte er.
Ich zog die Augenbrauen hoch, und er lief rot an.
»So, wie das klingt, hab ich’s nicht gemeint.«
»Schade!«, neckte ich ihn.
Er bekam diesen Blick, der besagte, ich sollte bloß aufpassen … Zwei Sekunden lang dachte ich über die Funken nach, die entstehen und von anderen gesehen werden könnten, und dann war mir alles egal, weil mich Asher küsste. Und immer wieder küsste.
Ich dachte, ich liebe dich , und er lächelte.
Dann redeten wir lange Zeit gar nicht mehr.
Ich fuhr die Rolltreppe allein hinunter, und Asher blieb ein gutes Stück zurück. Mein Großvater wollte mich an der Gepäckausgabe abholen, und Asher und ich hatten beschlossen, dass sie sich nicht begegnen sollten, bis wir mehr wussten. Wir hatten uns zum Abschied am Gate geküsst und uns dann schweren Herzens voneinander getrennt.
Unten an der Rolltreppe wartete eine Schar von Leuten, von denen manche Schilder zur Orientierung für die Ankömmlinge hochhielten. Ich zitterte vor Nervosität und rieb meine feuchten Handflächen an meiner Jeans ab. Würde ich meinen Großvater erkennen oder mich automatisch zu ihm hingezogen fühlen, weil in unseren Adern das gleiche Blut floss?
Ich blickte suchend in die Menge, aber niemand stach hervor. Dann schob sich ein Mann mit einem weißen Haarschopf nach vorn. Ich hatte noch nie jemanden so Riesiges gesehen: Er musste über zwei Meter groß sein! Und er hatte so breite Schultern, dass er sich durch manche Tür bestimmt schon mal seitwärts durchschieben musste. Hätte er eine grüne Haut gehabt, dann hätte er leicht als alternder Hulk durchgehen können. Auch das passende Auftreten dazu besaß er. Nicht allein seine Größe war es, die die Leute vor ihm zurückweichen ließ. Er hatte etwas Herrisches an sich. Das konnte einen richtig einschüchtern.
Ohne Zweifel war dieser finster dreinblickende Herr mein Großvater, François Marché.
Er sah mich und schon wich sein Gesichtsausdruck einem breiten Grinsen, und sofort wirkte er nicht mehr bedrohlich, sondern eher spitzbübisch. Ich war noch kaum von der Rolltreppegetreten, da machte er schon einen gewaltigen Schritt nach vorn und drückte mich an sich.
Mein Atem entfuhr mir mit einem Wusch, und er lockerte sofort den Griff und gestattete mir zurückzutreten. Ich blickte mich verstohlen um und sah, wie Asher wieder eine entspannte Haltung annahm. Einen Augenblick lang hatte er die stürmische Begrüßung meines Großvaters für einen Angriff gehalten und hatte in den Beschützermodus gewechselt.
»Ich hoffe, du
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