Die Schatten des Mars
Himmel und verglommen am Horizont – strategische Bomber aus Mildenhall auf dem Weg nach Süden. Auch in dieser Nacht würden sie sich ihrer Last über Städten entledigen, die längst nur noch dem Namen nach existierten ...
» Das wird mir jedenfalls nicht fehlen«, sagte der Mann und lächelte bekümmert.
»Wem überhaupt?« sagte die Frau. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf die Wange. Seine Haut war kalt. Er muß doch frieren.
»Leb wohl, John«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Und melde dich, wenn ...« Weiter kam sie nicht. Das Brennen in ihrer Kehle war stärker.
Der Mann nickte so energisch, wie er es früher getan hatte, wenn ihm seine große Schwester etwas aufgetragen hatte. Dann wandte er sich um und ging.
Sie sah ihm nach, bis seine Schritte verklungen und er eingetaucht war in die Nacht, die seine letzte in ihrer Welt sein würde.
Erst dann begann sie zu weinen.
Kriegskind
Als die Sonne aufging, kletterte der Junge über die Leitplanke und setzte seinen Weg auf dem gefrorenen Sand des Dünenfeldes fort. Er hatte die Stadt kurz nach Mitternacht verlassen und war auf der ganzen Strecke keinem einzigen Fahrzeug begegnet.
Das war gut so, denn entlang der vierspurigen Betonpiste gab es kaum Möglichkeiten, sich zu verstecken. Der Junge wollte keine Fragen beantworten, und er wollte auch keinen der freundlichen Kolonisten töten, was die Alternative dazu gewesen wäre.
Der Junge hieß Arif Tursun und war fünfzehn Jahre alt. Er konnte seinen Namen schreiben und ein paar Brocken Englisch. Eine Schule hatte er nie besucht und verstand sich nur auf eines – das Töten von Menschen.
Aber das wußte auf dem Mars niemand, denn er war noch nicht lange hier.
Bei seiner Ankunft hatte sich schnell herausgestellt, daß er keine Papiere besaß und als blinder Passagier gereist war. Arif hatte damit gerechnet, geschlagen und eingesperrt zu werden, doch nichts dergleichen war geschehen. Statt dessen hatte man ihn in ein Krankenhaus gebracht, einen Ort, der seinen Vorstellungen vom Paradies ausgesprochen nahe kam.
Dort hatte er zum ersten Mal in seinem Leben warm geduscht, ein Erlebnis, von dem er Djamila erzählen würde, wenn er sie endlich gefunden hatte.
Eine junge Ärztin, deren Haut nach Blumen duftete, hatte seine Verbrennungen behandelt und gelächelt, als sie seine unwillkürliche Erektion bemerkte. Arif hatte verlegen weggeschaut und sich gefragt, ob sich diese freundliche, arglose Frau überhaupt vorstellen konnte, was man ihr dort antun würde, wo er herkam.
Zum Schluß hatten ihn seine Gastgeber vollkommen neu eingekleidet, obwohl sie doch wissen mußten, daß er weder die medizinische Behandlung noch sonst irgend etwas bezahlen konnte.
Zum Glück hatte sich niemand für Arifs Gepäck interessiert, eine Tatsache, die mehr als alles andere die Leichtfertigkeit der hiesigen Behörden offenbarte. Der Rucksack enthielt ein Kletterseil und die Waffen des Jungen, eine achtschüssige Armeepistole mit Reservemagazinen, zwei Thermogranaten und ein Vibrationsmesser. Die Karbonfaserschlinge hatte er am Zaun des Kosmodroms zurücklassen müssen, nachdem er damit Luftröhre und Halsschlagader eines Wachmannes durchtrennt hatte.
Nach der Aufnahmeprozedur hatte Arif den Rucksack rasch wieder an sich genommen und in seinem Nachttisch versteckt.
Das Essen in der Klinik war gut und reichlich gewesen – allerdings hatte der Junge auch während der Überfahrt mit der »Utrennaja Swjesda« keinen Hunger gelitten, da er sich aus den Abfallbehältern des Frachtschiffes mit Nahrung versorgen konnte.
Zunächst hatte sich Arif geweigert, sich vor dem Zubettgehen umzuziehen – die dafür bereitgestellten Kleidungsstücke erschienen ihm ebenso lächerlich wie überflüssig. Erst als ihm bewußt geworden war, wie weit dieser Ort von allem, was er kannte und fürchtete, entfernt lag, gab er widerwillig nach. Dennoch hatte er die Riegel an Tür und Fenster noch einmal überprüft, bevor er in einen tiefen und traumlosen Schlaf gefallen war.
Die nächsten Tage waren mit medizinischen Untersuchungen, reichlichem Essen und viel Schlaf vergangen, und schließlich hatte man ihm offenbart, daß seine Verstrahlungen stärker waren, als die Ärzte zunächst angenommen hatten. Arif verstand nichts von Laborwerten, aber er verstand etwas vom Sterben und wußte, daß ihm nur noch Monate, wenn nicht sogar Wochen blieben. Als ihm die Ärztin niedergeschlagen mitteilte, daß ihn nur noch eine
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