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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Wind, der Sand und Salzkristalle aufwirbelte und die Haut des Jungen wie mit Schmirgelpapier aufrieb. Wasserstellen fand er nur selten, die meisten Brunnen waren verseucht. Das rohe Fleisch erlegter Tiere blieb oft seine einzige Nahrung, gegen die sein Magen schon bald revoltierte. Bei seiner Ankunft in Tjura-Tum war Arif so mager wie die halbverhungerten Akdshaly-Steppenwölfe, die die Nächte der Majunkum mit ihrem Geheul erfüllten. Die große Wölfin war tot, und die Bewohner der Salzsteppe würden ihr bald nachfolgen ...
    Eine flüchtige, kaum wahrnehmbare Bewegung riß Arif aus seinen Gedanken.
    Da vorn war etwas. Kein Mensch, dafür bewegte es sich zu schnell, aber auch kein einzelnes Tier – eher eine ganze Herde. Marat hatte zwar behauptet, daß es auf dem Mars keine Tiere gab, aber vermutlich hatte er sich darin genauso getäuscht wie hinsichtlich des Wassers.
    Wenige Augenblicke später war sich Arif sicher: Es waren Tiere – Wölfe oder wilde Hunde, die mit beängstigender Geschwindigkeit auf ihn zustürmten.
    Der Junge ging in die Knie und entsicherte seine Waffe.
    Die Monate in der Majunkum hatten ihn zu einem erfahrenen Jäger gemacht, und er wußte, daß viel von seinem ersten Schuß abhing. Wenn er das Leittier traf, würden die anderen den Angriff abbrechen und sich um den Kadaver balgen. Er besaß zwar genügend Munition, um es mit dem gesamten Rudel aufzunehmen, wußte aber nicht, ob ihm die Tiere die Zeit dazu lassen würden.
    Seine Hand zitterte nicht, als er abdrückte. Der Schuß zerriß die morgendliche Stille; sein Echo rollte durch das Tal und erstarb.
    Mehr geschah nicht.
    Bestürzt registrierte Arif ein silbriges Aufblitzen zwischen den Augen des Leittieres genau an der Stelle, auf die er gezielt hatte. Doch das Tier lief weiter, als sei nichts geschehen. Der Junge geriet in Panik und feuerte innerhalb weniger Augenblicke das Magazin seiner Waffe leer.
    Die Geschosse fanden ihr Ziel, blieben jedoch fast ohne erkennbare Wirkung auf das heranstürmende Rudel. Nur eines der Tiere blieb humpelnd zurück. Das Projektil hatte einen Teil seines linken Vorderlaufs abgerissen, und der Junge starrte wie gelähmt auf das silberne Metallgelenk, das aus dem zerfetzten Fellmantel herausragte.
    Maschinen! dachte Arif entsetzt und sprang auf. Doch es war zu spät. Bei dem Versuch, das heranstürmende Leittier mit einem Fußtritt abzuwehren, verlor er das Gleichgewicht und stürzte. Im Fallen riß er die Hände nach oben, um seine Kehle zu schützen, und stieß mit dem Hinterkopf gegen etwas Hartes. Mit schwindendem Bewußtsein spürte Arif, wie sich eine stählerne Klammer um sein rechtes Handgelenk schloß. Dann wurde es dunkel ...
     
    Der Junge erwachte mit einem Hustenanfall. Ein stechender Geruch brannte in seiner Nase. Widerwillig öffnete er die Augen und erschrak. Etwas Dunkles bewegte sich vor seinem Gesicht hin und her, ohne daß er erkennen konnte, was.
    Arif versuchte sich aufzurichten, erreichte jedoch nichts, außer daß sich der Schmerz in Nacken und Hinterkopf ins Unerträgliche steigerte.
    »Ganz ruhig«, sagte jemand, dessen Gesicht er nur durch einen roten Schleier wahrnehmen konnte, und die Hand verschwand aus seinem Blickfeld. Jetzt sah er nichts mehr außer dem Himmel und einer lachsfarbenen Sonne, die kaum größer war als ein Zehnkopekenstück.
    »Wo bin ich?« flüsterte der Junge, während er in den Bruchstücken seiner Erinnerung nach einer Erklärung suchte. Erst jetzt bemerkte er, daß er nicht mehr auf dem nackten Boden lag. Jemand hatte ein Kissen oder eine Decke unter seinen Kopf geschoben. Jemand, der ihm wohlgesinnt sein mußte, sonst wäre er nicht mehr am Leben.
    »In Sicherheit«, erwiderte die Stimme von vorhin gelassen. »Du hast zwar eine ziemlich üble Platzwunde, aber sonst ist wohl alles in Ordnung.«
    In Ordnung – von wegen, dachte Arif, während er einen neuen, vorsichtigeren Versuch unternahm, den Kopf zur Seite zu drehen.
    Diesmal hatte er Erfolg, doch der Anblick, der sich im bot, war alles andere als beruhigend.
    Das lag weniger an dem grauhaarigen Mann, der neben ihm kniete und sich an einer schwarzen Plastikkiste zu schaffen machte, als vielmehr an dessen Begleitung: ein halbes Dutzend wolfsähnlicher Kreaturen, die sich im Halbkreis niedergelassen hatten und den Jungen mit gelb leuchtenden Augen anstarrten.
    Schlagartig kehrte die Erinnerung zurück.
    Arif war sich sicher, daß es dieselben Tiere waren, die ihn angegriffen hatten. Nein, doch wohl

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