Die Schatten des Mars
dünne Mann lächelte melancholisch. Er sah blaß aus, wie jemand, der sich zu oft in geschlossenen Räumen aufhielt.
»Du gibst wohl nie auf, Rachel. Die Reise ist gebucht, und ich sitze auf gepackten Koffern. Sogar das Taxi zum Flughafen ist schon bestellt.«
»Es ist nicht bloß eine ›Reise‹, John«, sagte die Frau. »Von Reisen kehrt man zurück. Aber du wirst vermutlich nicht einmal ankommen. Acht Monate sind eine lange Zeit.«
»Du meinst, daß dem Schiff unterwegs etwas zustößt?« Wieder lächelte der Mann. Er wußte natürlich, worauf seine Schwester hinauswollte. Schließlich war es nicht das erste Mal, daß sie diese Diskussion führten.
»Nicht dem Raumschiff – dir. Was wird, wenn sich dein Zustand verschlimmert? Da draußen kann dir niemand helfen.«
»Es ist ein Passagierschiff, Rachel, mit einem halben Dutzend Ärzten an Bord und einer eigenen Krankenstation. Und was das ›Helfen‹ anbetrifft ...«
»Ich weiß«, erwiderte die Frau resigniert. »Ich hätte nicht wieder davon anfangen sollen. Aber ich mache mir Sorgen.«
»Das brauchst du nicht. Ich bin froh, daß ich mich so entschieden habe, und – ob du es nun glaubst oder nicht: Es geht mir besser, seitdem ich den Vertrag unterschrieben habe.«
»Zweihunderttausend Euro«, seufzte die Frau. »Es ist natürlich dein Geld, John, aber ...«
»Kein aber, Rachel«, unterbrach sie der Mann sanft. »Wir wollen uns doch nicht über Geld streiten an unserem letzten Abend.«
»Es tut mir leid. Ich wollte ....« Sie brach ab, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Und du sollst auch nicht weinen. Ich bin ja schließlich nicht aus der Welt.« Er lauschte dem Klang seiner Worte nach und fuhr dann fort. »Man kann sogar Videonachrichten schicken von dort. Die Übertragung dauert nur ein paar Minuten, und am nächsten Tag bekommst du sie mit der Post. Du legst die VD ein, und schon bin ich bei euch.«
»Du bist ein Kindskopf, John«, sagte die Frau, mußte aber trotzdem lächeln. Was er vorhatte, war Wahnsinn, dennoch mußte sie zugeben, daß sich ihr Bruder tatsächlich verändert hatte. Seine Stimme schien kräftiger, und manchmal trat in seine Augen ein Ausdruck, der sie an den Jungen von früher erinnerte. »Ich weiß, ich kann dich nicht umstimmen, aber es ist und bleibt vollkommen u n vernünftig.«
»Das ist es«, lächelte John. »Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich etwas früher damit angefangen hätte.«
Womit? wollte die Frau fragen, aber dann verstand sie und schwieg. Es stimmte. Ihr Bruder war Zeit seines Lebens das gewesen, was man als »vernünftig« bezeichnete. Nie hätte er sich auf etwas eingelassen, dem auch nur ein Hauch des Unseriösen anhaftete. Johns einzige Leidenschaft waren Bücher, und mit der Zeit war er geworden wie sie: still, geduldig und ein wenig altmodisch. Seine Arbeit in der Stadtbibliothek hatte er geliebt. Er war früh stets der erste gewesen, der das weitläufige Gebäude in der Hampton Road betrat, und hatte es selten vor Einbruch der Dunkelheit verlassen. Die Bibliothek war letzten Sommer geschlossen worden, angeblich wegen zu geringer Auslastung. Ein anderer an seiner Stelle hätte sich zur Wehr gesetzt, Unterschriften gesammelt oder an die Zeitung geschrieben. John dagegen hatte nicht einmal auf Abfindung geklagt, als man ihn nach fast dreißig Dienstjahren auf die Straße gesetzt hatte. Er hatte es hingenommen wie viele Zurücksetzungen und Kränkungen zuvor, doch seine stoische Gelassenheit konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß er im Innersten getroffen war. Vielleicht war die Krankheit nur eine Folge davon ...
»Mark hätte dich auch zum Flughafen fahren können«, sagte sie dann. »Es wäre nur ein kleiner Umweg für ihn.«
»Und du würdest dir natürlich frei nehmen, um uns zu begleiten.«
Die Frau zuckte mit Schultern. Sie wußte selbst, daß es keine gute Idee war. Sie würden über dieses und jenes sprechen und am Ende doch bei den alten Zeiten ankommen und bei Sätzen, die mit »Weißt du noch?« begannen. Wahrscheinlich hatte John recht, wenn er allein gehen wollte ...
»Was wird eigentlich aus deinen Büchern?« fragte sie mit aufgesetzter Munterkeit. »Die kannst du doch nicht alle mitnehmen.«
»Alle nicht, aber bestimmt mehr, als ich brauche. Die Gesellschaft hat die Kiste schon abgeholt. Im Vertrag stehen vierhundert Pfund Freigepäck. Um den Rest kümmert sich der Makler. Er glaubt, daß er das Haus möbliert verkaufen kann.«
»Tut es dir nicht leid,
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