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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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es wegzugeben, nach all den Jahren?«
    »Nicht mehr als andere Dinge«, erwiderte der Mann ruhig. »Natürlich hänge ich an dem Haus, den Möbeln und dem Garten, auch wenn er ein wenig verwildert ist. Ich werde manchmal daran denken, wie es sich angefühlt hat, mit einem Buch auf der Terrasse zu sitzen und die Abendsonne auf der Haut zu spüren. Es werden angenehme Erinnerungen sein wie an einen schönen Traum.«
    Er hustete und fuhr sich wie beiläufig mit der Hand über die Lippen. Die Frau senkte den Blick. Sie wollte nicht, daß er sich beobachtet fühlte.
    »Aber du weißt doch gar nicht, was dich erwartet – da draußen«, wandte sie nach einer Weile ein. Es war weniger der Versuch, John doch noch umzustimmen, als vielmehr die Bitte um eine Erklärung, die es ihr ermöglichte, ihn zu verstehen.
    »Eben«, sagte der Mann und lächelte wieder. Er sah jünger aus in diesem Augenblick, und auf seinem Gesicht lag ein seltsam erwartungsvoller Ausdruck. Wo r auf hoffte er?
    »Dafür weiß ich, was mich hier erwartet.« Er lehnte sich zurück und beobachtete mit ausdruckloser Miene die Manöver der Polizeidrohne, die hoch über den Dächern ihre Kreise zog. »Und ich glaube nicht, daß ich es ertragen könnte.«
    »Aber hier hättest du jemanden, der sich um dich kümmert. Du wirst Hilfe brauchen, wenn ...« Sie brach ab und biß sich auf die Lippen.
    »Nein, Rachel«, erwiderte er ruhig. »Dazu wird es nicht kommen.«
    »Wie meinst du das?« Sie spürte, wie sich etwas Kaltes in ihrer Magengrube einnistete.
    »Weil ich es nicht zulassen werde. In ein paar Tagen wird das hier – seine Geste umfaßte das Haus, die Terrasse und die Gärten ringsum – Hunderttausend Meilen hinter mir liegen. Eine unbedeutende Stadt auf einer Insel im Nichts. Die Bilder werden verblassen, und irgendwann werde ich nicht mehr wissen, was Erinnerung ist und was Traum. Warum sollte ich mich an etwas klammern, das vielleicht nie existiert hat?«
    » Deshalb gehst du weg?« Ihre Stimme klang plötzlich heiser.
    »Ich dachte, das wüßtest du.«
    »Und der Mars?«
    »... auch nur ein Traum«, erklärte er nach einigem Zögern. »Die schönsten Geschichten über ihn stammen von Leuten, die nie dort waren. Vielleicht sollte ich mir gar nicht wünschen, daß das Schiff ankommt ...«
    Die Frau wollte etwas einwenden, ihm erklären, wie unlogisch sich das alles anhörte, aber das konnte sie nicht. Vielleicht ahnte sie, daß ihr Bruder längst unterwegs war und sein Abschiedbesuch nur eine Geste, die er glaubte, ihr schuldig zu sein.
    Sie saßen und tranken ihren Tee in winzigen Schlucken, bis die Dämmerung herabfiel und sie eintauchten in den Schatten der riesigen alten Bäume, die das Grundstück säumten.
    »Ich muß jetzt wohl«, sagte der Mann schließlich und stand auf. »Bestell Mark einen schönen Gruß von mir.«
    »Es tut ihm leid, daß er nicht dasein kann. Es ist wohl ein ziemlich wichtiger Termin, den er nicht absagen konnte.«
    »Wozu auch? Wir bleiben doch in Verbindung.«
    »Das sagst du doch nur, um mich zu trösten.« Sie wollte nicht weinen, aber es war schwer.
    »Muß ich dich denn trösten, Rachel?« fragte er sanft.
    »Natürlich nicht«, sagte sie tapfer. »Nun geh schon, bevor ich anfange zu heulen.«
    Sie begleitete ihn an Ziersträuchern und Blumenspalieren vorbei zum Tor. Der Kies knirschte unnatürlich laut unter ihren Füßen. An der Ausfahrt blieben sie stehen. Schweigend standen sie da und suchten nach Worten. Sie hätte ihn gern in die Arme genommen zum Abschied, aber dann würde sie weinen müssen und alles noch schwerer machen. Johns Gesicht schimmerte weiß im dünnen Licht des Mondes. Er sah krank aus und müde. Aber vielleicht bildete sie sich das nur ein ...
    »Leb wohl, Rachel«, sagte der Mann und trat einen Schritt auf sie zu.
    Die Frau sagte nichts. Sie mußte an ein Gedicht von Lord Byron denken, von dem ihr nur diese eine Strophe im Gedächtnis geblieben war:
     
    The better days of life were ours;
    The worst can be but mine:
    The sun that cheers, the storm that lowers,
    Shall never more be thine ...
     
    Die Hymne der Zurückbleibenden. Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen: Die hellen Tage waren vorbei. Endgültig. Und sie würde John nie wiedersehen. Dieses Mal würde er derjenige sein, der vorausging ...
    Dann hörte sie etwas. Ein tiefes Geräusch, knapp oberhalb der Hörschwelle. Es kam näher und wurde rasch lauter. Zwölf Lichtpunkte zogen in präziser Formation über den nachtblauen

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