Die Schatten des Mars
sinnvolle Reaktion ausschloß. Für Sekunden schien die Zeit stillzustehen, ohne daß Lena auch nur im Ansatz begriff, was das alles zu bedeuten hatte.
Dann ging alles sehr schnell.
Jemand sprang auf die Bühne, ein dunkler, wirbelnder Schatten, der auf sie zustürmte und sie so heftig nach hinten stieß, daß Lena wie eine Schaufensterpuppe in die Kulissen geschleudert wurde.
Sascha, was soll d ...?
Sie sah etwas Blaues auf sich zufliegen, hörte Holz brechen und riß instinktiv die Arme nach vorn.
Noch bevor sie aufschlug, tauchte ein greller Blitz alles um sie herum in weißes, gleißendes Licht. Sie verspürte einen brennenden Schmerz an den Beinen, der ihren Körper wie eine Schockwelle durchraste und schließlich ihr Bewußtsein auslöschte.
Der Konstrukteur
Der Freitod des renommierten Wissenschaftlers Professor Prohaska erregte zwar einiges Aufsehen, doch das öffentliche Interesse hielt nur wenige Tage an. Mangels geeigneten Nachschubs an skandalträchtigen Einzelheiten ließen die Medien das Thema ebenso rasch fallen, wie es in den Schlagzeilen aufgetaucht war. Julius‘ Name wurde nicht erwähnt. Er verlor seine Nebentätigkeitsgenehmigung und erhielt bis auf weiteres Hausverbot, aber das war ihm gleichgültig. Er hätte das Institut auch ohne diese Sanktion nicht mehr betreten.
Fernab der öffentlichen Wahrnehmung verlief Julius‘ weitere Karriere zwar unspektakulär, aber durchaus erfolgreich. Nachdem er seine Diplomarbeit verteidigt hatte, bewarb er sich, ohne sich größere Hoffnungen zu machen, am Tübinger Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik und erhielt zu seiner eigenen Überraschung ein Stipendium. Seine Dissertation über künstliche neuronale Netzwerke fand nicht nur den Beifall des Gutachterausschusses, sondern ebnete ihm auch den Weg in die internationale Fachpresse. Nachdem sein Vertrag ausgelaufen war, nahm er das Stellenangebot eines renommierten Technologiekonzerns an, das für europäische Verhältnisse überaus großzügig dotiert war. CBC Deutschland war ein börsennotiertes Unternehmen, das sich auf die Herstellung von biokybernetischen Baugruppen spezialisiert hatte. In der Forschungsabteilung galt der promovierte Bioinformatiker als Hoffnungsträger. Seine distanzierte, fast menschenscheue Art sorgte zwar hin und wieder für Irritationen, dennoch wurde er schon bald als Nachfolger des Fachgruppenleiters gehandelt. Doch dazu sollte es nicht kommen.
Am 20. August 2042 räumte Julius seinen Schreibtisch leer, löschte sämtliche Dateien und vernichtete die Sicherungskopien. Dann verließ er sein Büro, fuhr in die Tiefgarage und winkte dem Wachmann an der Ausfahrt zum Abschied zu. Zurück ließ er seine Kennkarte und ein kurzes Schreiben an die Geschäftsleitung mit seiner Kündigung. Eine Begründung gab er nicht. Versuche, ihn zu kontaktieren, blieben erfolglos. Dr. Fromberg war für niemanden aus der Firma zu sprechen.
So erfuhr auch niemand von dem Video, das Julius wenige Tage vorher zugespielt worden war. Der Absender hatte seine Identität verschleiert; dennoch hatte die anonyme Nachricht die Sicherungen seines Computers überwunden. Zunächst war es reine Neugier gewesen, die Julius dazu bewogen hatte, die komprimierte Videodatei zu öffnen. Doch was zunächst wie ein Werbefilm für einen Hersteller von Spezialrobotern ausgesehen hatte, entpuppte sich mit zunehmender Laufzeit als etwas weit weniger Harmloses.
Vermutlich hätte es der dramatischen Geräuschkulisse gar nicht bedurft, mit der die Firma den Erprobungsbericht unterlegt hatte. Die Funktion der knapp metergroßen Roboterwesen wurde auch ohne den Gefechtslärm im Hintergrund rasch offenbar. Mit ihren halbrunden Rückenpanzern ähnelten die Maschinen schwergewichtigen Riesenschildkröten, nur daß sie sich wesentlich behender bewegten. Eine Infrarotkamera verfolgte den Weg der »SAD-Turtles« durch ein unterirdisches Höhlenlabyrinth, den sie mit verblüffender Geschwindigkeit zurücklegten und erst innehielten, als sie das Ziel erfaßt und umstellt hatten. Das Versteck zerbarst in einer Serie von Explosionen, die den Bildausschnitt mit grünem Feuer erfüllten, das keinen Zweifel über das Schicksal der dort Verschanzten offenließ.
Julius empfand diese Art von Produktwerbung zwar als abstoßend, aber viele Bilder in den täglichen Nachrichtensendungen waren schlimmer. Der Krieg war in eine Phase getreten, in der der Zweck die Mittel heiligte. Den Selbstmordkommandos des Shariats setzten
Weitere Kostenlose Bücher