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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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selbstbestimmtes Leben. Er bedurfte keiner Gesellschaft, zumindest keiner menschlichen. Allein der Gedanke daran flößte ihm mittlerweile beinahe körperliches Unbehagen ein.
    Trotz allem verlor er die wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht aus den Augen. Mit vierzig Jahren war er zu jung, um sich schon zur Ruhe zu setzen, außerdem widerstrebte ihm der Gedanke, seine Ersparnisse anzugreifen. Da er nicht vorhatte, eine neue Anstellung anzunehmen, kam nur eine selbständige Tätigkeit in Frage. Werkstatträume waren ausreichend vorhanden, und so widmete sich Julius fortan einer Aufgabe, die ihn schon von Kindheit an fasziniert hatte: Er konstruierte Spielzeug.
    Sein neues Leben war klar geregelt. Einmal in der Woche fuhr er in die Stadt einkaufen, besuchte den örtlichen Baumarkt und leerte sein Postschließfach. Ansonsten arbeitete er tagsüber in der Werkstatt und kümmerte sich anschließend um die benötigten Spezialteile. Nach dem Abendessen hörte er oft noch ein wenig Musik und trank dazu ein oder zwei Gläser Rotwein. Später unterhielt er sich noch ein wenig mit Julia. Er hatte seinerzeit zwar das KI-Experiment abgebrochen, es aber nie übers Herz gebracht, den Turing-Modul mit ihren Daten zu löschen. Jetzt war er dankbar dafür. Manchmal wechselten sie nur wenige Worte, bevor sie sich eine gute Nacht wünschten, an anderen Abenden begleitete ihn Julias Stimme bis in seine Träume. Es waren andere Träume, friedlichere, die ihn weit in der Zeit zurücktrugen, bis zu jenen glücklichen Tagen vor Julias Unfall.
    Doch es gab auch andere, die ihn an ferne, nie gesehene Orte führten. Meist fand er sich dann in einer fremdartigen Gebirgslandschaft wieder, die trotz ihrer Kargheit eine seltsame Anziehungskraft auf ihn ausübte. Vielleicht lag es an dem weichen, lachsfarbenen Licht einer Sonne, die kleiner war als die irdische und niemals die Augen blendete. Möglicherweise war es aber auch der Eindruck unendlichen Alters, den die dämmrige Landschaft ausstrahlte, der stille Atem der Jahrtausende, der eine so friedvolle Atmosphäre schuf, daß sich Julius niemals fremd oder gar als ungebetener Eindringling fühlte. Manchmal begleitete ihn ein gelbäugiger, fast wolfsgroßer Hund auf seinen Streifzügen, der ihm nicht von der Seite wich und immer dann die Führung übernahm, wenn das Gelände unwegsamer wurde und Julius in Gefahr geriet, vom Weg abzukommen. Das Tier gehörte zu ihm, daran hatte Julius nicht die geringsten Zweifel, auch wenn er keine Vorstellung hatte, wie es dazu gekommen war.
    Wenn er aus einem solchen Traum erwachte, erfüllte ihn ein unerklärliches Gefühl von Trauer und Verlust, das oft noch längere Zeit anhielt. Die Tiefe dieser Empfindung verunsicherte ihn, zumal er sich nicht erklären konnte, weshalb er sich nach einem Ort sehnte, an dem er noch nie gewesen war. Ein wenig erinnerten ihn die Landschaften an die Panoramaaufnahmen der Marsoberfläche, mit denen sie sich im Rahmen des ESA-Projekts beschäftigt hatten. Damals hatte er manchmal darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, einmal selbst den Fuß auf den roten Planeten zu setzen, aber diese Überlegungen waren nie ernsthafter Natur gewesen. Da Julius selbst kein Fernsehgerät besaß und Nachrichtenseiten mied, wußte er auch nichts vom Erfolg der zweiten Marsexpedition unter Kapitän Lundgren, die trotz der tragischen Begleitumstände den Nachweis erbracht hatte, daß längerfristiger Aufenthalt auf dem roten Planeten möglich war. Vielleicht hätten ihm die Bilder die Augen geöffnet ...
     
    Die ersten Spielzeugtiere, die Julius auf den Markt brachte, unterschieden sich äußerlich kaum von jenen aus den Supermarktregalen. Ihr hochkompliziertes Innenleben ermöglichte jedoch eine Vielzahl von Funktionen, die sogar die Fähigkeiten der Originale in den Schatten stellte. So waren alle Modelle mit Kommunikationsmodulen ausgestattet, die es ihnen erlaubten, sich mit ihren Besitzern altersgruppengerecht zu unterhalten. Außerdem verfügten sie über ein visuelles Identifizierungssystem mit der Möglichkeit, eine bestimmte Anzahl von Personen zu erkennen und individuell anzusprechen. Darüber hinaus waren sie in der Lage, sich innerhalb gewisser Grenzen artgerecht fortzubewegen, was sie vor allem von den vollelektronischen Billigprodukten aus Fernost unterschied. Der hierfür notwendige Aufwand schlug sich natürlich auf den Preis nieder, so daß Julius zunächst Mühe hatte, kaufwillige Interessenten zu gewinnen. Die ersten Exemplare,

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