Die Schatten des Mars
nunmehr acht Jahren auf dem Mars lebte. Der Mann war eine lebende Legende, nicht nur, weil er der Erste gewesen war, sondern vor allem wegen der dramatischen Begleitumstände der damaligen Mission. Noch heute rätselten Wissenschaftler und Psychologen, wie er es geschafft hatte, zwei Jahre lang allein zu überleben, nachdem der Kontakt zum Mutterschiff abgerissen war. Daß er auch später nie zur Erde zurückgekehrt war, hatte für Spekulationen gesorgt, ebenso wie der Tod seines Partners kurz nach der Landung. Die Obduktion hatte Gewalteinwirkung ausgeschlossen, dennoch kursierten im Netz die abenteuerlichsten Gerüchte bis hin zu der Behauptung, Lundgren sei kein Mensch mehr, sondern eine Kreatur der Marsianer.
All das war natürlich blühender Unsinn. Der Mann, den sie getroffen hatten, hatte nichts Geheimnisvolles an sich gehabt – im Gegenteil: Er erschien so normal und unauffällig, daß sie im ersten Moment sogar ein wenig enttäuscht gewesen waren. Der Kapitän hatte sie in dem kleinen Gewächshaus neben seinem Habitat empfangen, wo er Blaualgen, Gemüse und sogar ein paar Blumen züchtete. Dieses Projekt schien ihm wichtiger zu sein als die Unternehmungen seiner NASA-Kollegen, zu denen er offenbar nur losen Kontakt hielt. Lundgren hatte bedauert, daß die Energieknappheit seinen Bemühungen um die Schaffung einer unabhängigen Nahrungsversorgung Grenzen setzte, und sich nebenbei auch für die Ansätze der Europäer interessiert. Überhaupt war das Gespräch ganz anders verlaufen, als Claasen es sich vorgestellt hatte. Sie hatten Bier getrunken – richtiges Bier, nicht dieses seltsame Gebräu aus Hopfenkonzentrat und Recycling-Wasser, das die ESA ihren Angestellten zumutete. Aber das war auch schon die einzige Extravaganz gewesen, die sich ihr Gastgeber geleistet hatte. Fragen, die Vergangenes betrafen, beantwortete er zurückhaltend, wich ihnen aber nicht aus. Dennoch hatte Claasen den Eindruck gehabt, daß Lundgren das Thema unangenehm war. Vielleicht war es wirklich Bescheidenheit, die ihn die eigene Rolle herunterspielen ließ, wahrscheinlicher war, daß er nicht daran erinnert werden wollte. Zwei Jahre in völliger Einsamkeit mußten Spuren hinterlassen haben, auch wenn man sie ihm nicht ansah. Manchmal wirkte er etwas unkonzentriert, als dächte er über etwas nach, das nichts mit ihnen und ihren Fragen zu tun hatte, aber das waren nur kurze Momente, nach denen er sich sofort wieder fing. Sie waren in bestem Einvernehmen auseinandergegangen, doch erst auf der Rückfahrt war Claasen klargeworden, daß sie so gut wie nichts über den Mann erfahren hatten, der wie kein anderer die Erforschung des Mars geprägt hatte. Was auch immer er dabei erlebt haben mochte, mit ihnen hatte Kapitän Lundgren seine Erinnerungen jedenfalls nicht geteilt.
»Träumst du?« Die Stimme des Spaniers brachte Claasen zurück in die Gegenwart.
»Nein, was gibt‘s denn?«
» Sam meint, wir sollten Kapsel vier zuerst analysieren.«
»Und warum?«
»Abweichung im spezifischen Gewicht, irgend ein Einschluß wahrscheinlich. Oder wir sind auf eine Goldader gestoßen«, erwiderte der Spanier und pfiff dazu passend die Titelmelodie von »Bonanza«.
»Meine Nerven«, stöhnte Claasen, mußte aber dennoch lächeln. Er stand auf, aktivierte den Druckausgleich und öffnete dann das hintere Schott. Das Magazin mit den Probenkapseln lag bereits in der Schleuse. Claasen nahm es an sich und ging hinüber zum Gas-Analyse-Meßplatz, einer Kombination von verschiedenen Verdampfungseinheiten und einem Massenspektrometer.
»Sieht irgendwie merkwürdig aus«, murmelte er, nachdem er die vierte Kapsel geöffnet und den Inhalt in Augenschein genommen hatte. Das Pulver in der Kapsel war dunkelgrau, fast schwarz. Doch es war nicht nur die Farbe der Gesteinsprobe, die Claasen irritierte, sondern auch die Art, wie sie das Licht reflektierte. Sie schimmerte zwar nur schwach, aber dennoch unzweifelhaft metallisch.
»Könnte eine Art Graphit sein«, vermutete Ribero, nachdem er die Arbeitsplatzkamera auf seinen Monitor geschaltet hatte.
»Reiner Kohlenstoff? Äußerst unwahrscheinlich.« Claasen schüttelte den Kopf. »Außerdem wäre der Bohrer da nur so durchgerauscht.«
»Irgendein Metall?«
»Weiß nicht. Vielleicht ziehen wir erst einmal das Standardprogramm durch. Du kannst Dir ja inzwischen die Protokolle ansehen.«
»Okay.« Der Spanier hob den Daumen. »Dann leg mal los.«
Claasen öffnete die Hitzekammer des Verdampfers und
Weitere Kostenlose Bücher